Tag der psychischen Gesundheit: So lebe ich mit Bipolarer Störung

Agnes* ist manisch-depressiv: Manchmal ist die Welt für sie ein Karussell, dann wieder die Hölle. Medikamente halten sie in der Balance. Meistens.

Die PZM Psychiatriezentrum Münsingen AG soll Zwangsmassnahmen unzulässig angewandt haben. - Pixabay

Das Wichtigste in Kürze

  • Heute ist der internationale Tag der psychischen Gesundheit.
  • Ein Betroffene erklärt, was es bedeutet, wenn man psychisch krank ist.

Heute ist ein besonderer Tag. Gewidmet einem hohen Gut: Der psychischen Gesundheit. Doch «gesund» gibt es nur, weil auch «krank» vorhanden ist. Nau hat mit einer jungen Frau gesprochen, die weiss, was psychisch krank sein heisst.

Wenn die Farben verblassen

In der Schule war Agnes* immer die Anführerin. Die Lauteste von allen, die Lustigste sowieso und schlau dazu. Die Lust am Leben verschwand erst, als das Erwachsenwerden begann.

«Ein bisschen ist es so, als wäre früher immer alles bunt gewesen. Richtig satt ausgemalt. Dann verblassten diese Farben plötzlich. Zurück blieb irgendwie nur noch grau in grau», sagt Agnes. Statt Glück, blieb bloss ein schwarzes Loch. Anvertraut hat Agnes sich erstmal niemandem. «Eltern und Lehrer haben sich meine Launen wohl mit der Pubertät erklärt», vermutet sie. Und dann: «Irgendwie ging es schon immer.» Bis es nicht mehr ging: Bei ihrem ersten Selbstmordversuch war Agnes 21 Jahre alt. «Ich wollte nicht sterben, aber ich wusste nicht, wie im Grau leben.»

Bipolare Störung (Manisch-depressiv)

Jetzt realisiert Agnes' Umfeld, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. «Da haben dann die sozialen Fallschirme gegriffen», sagt sie und lächelt. Sich früher öffnen, jemandem anvertrauen, über ihre Probleme sprechen, das ist es, was Agnes heute anders machen würde. Verloren hat Agnes in dieser Zeit zwar viele Freunde, nicht aber die Familie.

Erste Medikamente helfen gegen ihre depressive Verstimmung und machen Agnes wieder froh. Zu froh. Denn Agnes leidet nicht, wie erst diagnostiziert, an einer schweren Depression. Sie ist bipolar. Depressive Phasen, in denen ihr sogar die Energie fehlt, um aus dem Bett zu steigen, werden abgelöst von den Himmelflügen der Manie, einer «übertriebenen, krankhaften Leidenschaft».

Heute ist der Tag der psychischen Gesundheit. Doch ab wann ist sie verloren? - Pixabay

Fast ein Jahr tanzt Agnes vor Glück auf den Dächern. Ist wieder die Lauteste und Lustigste von Allen. Jetzt in ihrem Studium an der Universität Basel. Dann kippt die Stimmung wieder, Agnes sinkt ins bodenlose Grau. Nach einer Manie, dieser übertriebenen Freude, ist der Fall in die Depression umso schmerzhafter. Bis Agnes ihr Studium nach acht Jahren abgeschlossen hat, folgten zwei weitere Selbstmordversuche.

«Die Gesellschaft ist nicht gemacht für uns»

«Heute bin ich gut eingestellt. Ich habe Medikamente, die mich bei einer Depression wieder hochheben, und solche, die mich in einer Manie ein bisschen unten halten», erklärt Agnes. Sie ist mittlerweile 34 Jahre alt. Manchmal fragt sie sich, wie es wäre, Kinder zu haben. Aber dann denkt, sie, dass sie sich niemandem zumuten möchte. Ausser ihrem Freund, «aber der hat sich das ja selber ausgesucht». Manchmal fragt sie sich auch, wie es wäre, wenn sie einmal, nur einmal, wieder von keinem Medikament unten gehalten würde, sondern vor lauter manischer Freude auf den Dächern tanzen könnte.

LGBTIQ+-Personen sind psychisch weniger gesund als der Rest der Bevölkerung. (Symbolild) - Pixabay

«Aber dafür ist die Gesellschaft nicht gemacht. Menschen wie ich. Bin ich in einer Depression und kann nicht leisten, dann bin ich ein Hindernis. Habe ich eine Manie, bin ich den Leuten zu viel. Menschen wie ich passen nur ins System, wenn man uns behandelt.» Während sie das sagt, klingt Agnes Stimme nachdenklich, nicht vorwurfsvoll.

Klar hätte sie gerne ein Leben ohne Medikamente, die ihre Stimmung regulieren. Eine Weltreise, statt monatelanger Aufenthalte in der Klinik. Eine 100-Prozent-Stelle, statt teilweise IV. Sicherheit, von innen, statt die ständige Angst, wieder die Balance zu verlieren. «Aber das hier ist nun mal mein Leben und ich denke, dass ich es nicht mehr selber beenden möchte. Das ist ein grosser Fortschritt», sagt's und lächelt.

*Psychische Krankheiten sind bis heute teilweise stigmatisiert. Aus diesem Grund haben wir den Namen der Betroffenen geändert.