Fünf Wochen vor der US-Wahl: Der Zusammenstoss der Kandidaten

US-Präsident Trump ist berüchtigt dafür, Gesprächspartner zu überfahren. Mit seiner «Bulldozer-Persönlichkeit» geht Trump bei der ersten TV-Debatte auch gegen Joe Biden vor - der seinerseits heftig gegen den Präsidenten austeilt. Das Ergebnis: Chaos.

Kommentatoren charakterisierten das erste von drei Duellen als chaotisch und einer Demokratie wie den USA für unwürdig. Foto: Olivier Douliery/Pool AFP/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Handschlag bleibt Präsident Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden wegen des Coronavirus bei der ersten TV-Debatte erspart.

Die Geste hätte aber auch nichts an der Feindseligkeit beim Fernsehduell geändert, die sich am Dienstagabend (Ortszeit) in Cleveland schon in den ersten Minuten Bahn bricht und wie ein roter Faden durch die gut 90 Minuten zieht. Der Republikaner Trump und der Demokrat Biden sparen nicht mit Beleidigungen. Besonders Trump fällt Biden, aber auch Moderator Chris Wallace immer wieder ins Wort. Mit seiner «Bulldozer-Persönlichkeit» - so der Sender CNN - versucht der Präsident, die Debatte zu dominieren.

«NICHTS KLUGES» AN JOE BIDEN?

Fünf Wochen vor der Wahl stehen Trump und Biden am Dienstag erstmals auf derselben Bühne, Versöhnliches ist dabei nicht zu beobachten. Im Laufe des TV-Duells bezeichnet Biden Trump als «Rassisten», als «Lügner», als «Clown» und als «Putins Welpen». Der Ex-Vizepräsident bescheinigt dem Amtsinhaber: «Sie sind der schlechteste Präsident, den Amerika je hatte.» Trump habe die USA «kranker, ärmer, gespaltener und gewalttätiger» gemacht. Trump wiederum behauptet, dass keine US-Regierung zuvor so viel erreicht habe wie die seine. An die Adresse Bidens sagt er: «Es gibt nichts Kluges an Ihnen, Joe.»

TRUMP HAT DIE MESSLATTE FÜR BIDEN NIEDRIG GELEGT

Trump (74) hat im Wahlkampf immer wieder den Geisteszustand seines 77 Jahre alten Herausforderers angezweifelt. «Der Typ hat keine Ahnung. Er weiss nicht, wo zum Teufel er ist», sagte Trump vor wenigen Tagen bei einem Wahlkampfauftritt. «Der Typ weiss nicht, dass er am Leben ist.» Mit einer derart tief gesetzten Messlatte machte Trump es leicht für Biden, die Erwartungen bei der Debatte zu übertreffen. Das «Wall Street Journal» kommentiert am Mittwoch: «Niemand hat dieses Fiasko gewonnen, aber es ist Herrn Biden gelungen, den Test zu bestehen, 90 Minuten lang kohärent zu erscheinen.»

BIDEN BLEIBT GEFASST

Biden leistet sich am Dienstag keine der verbalen Patzer, für die er bekannt ist. Viele Attacken lächelt der Herausforderer einfach weg. Dem Ex-Vizepräsidenten gelingt es auch, Ruhe zu bewahren, als Trump seinen Sohn Hunter Biden angreift. Trump verweist darauf, dass Hunter Biden wegen Drogenkonsums aus dem Militär entlassen wurde - und er wirft Hunter Biden vor, mit fragwürdigen Geschäften im Ausland Millionen gemacht zu haben, während sein Vater Vizepräsident war. Biden weist das zurück. Und er sagt: «Mein Sohn hatte ein Drogenproblem, aber er hat es überwunden und ich bin stolz auf ihn.»

Trump hat am Dienstag keine Vision für eine zweite Amtszeit zu bieten. Die meisten seiner Aussagen sind altbekannt: Trotz 200 000 Toten in den USA lobt Trump sein Krisenmanagement in der Corona-Pandemie, für die er China verantwortlich macht. Er weigert sich, Rechtsradikale eindeutig zu verurteilen, und hält Linke - als deren Marionette er Biden sieht - für die wahre Bedrohung. Bidens Demokraten wirft Trump vor, durch massenhafte Briefwahl für Wahlbetrug sorgen zu wollen, wofür es keine Belege gibt. Trump bestreitet ausserdem, 2016 und 2017 kaum Steuern auf Bundesebene gezahlt zu haben - im Gegenteil, es seien «Millionen» gewesen.

«KLAPPE HALTEN»

Trumps Taktik, wie schon bei den Debatten im Wahlkampf vor vier Jahren: Er versucht permanent, das Wort an sich zu reissen und die Themen in eine andere Richtung zu lenken. Biden sagt irgendwann: «Würden Sie die Klappe halten, Mann?» Auch Moderator Wallace treibt Trumps Verhalten beinahe zur Verzweiflung. «Warum halten Sie sich nicht daran, was Ihr Wahlkampfteam akzeptiert hat?», fragt Wallace. An anderer Stelle sagt er: «Ich bin der Moderator der Debatte, und ich möchte, dass Sie mir erlauben, meine Frage zu stellen.» Trump sagt an Wallaces Adresse: «Ich schätze, ich debattiere mit Ihnen, nicht mit ihm. Aber das ist okay, ich bin nicht überrascht.»

ANGRIFFE AUF DEN MODERATOR

Trump hat bereits vor der Debatte versucht, Wallace zu diskreditieren. Wallace kommt vom Trump-freundlichen Fernsehsender Fox News, ist aber weit darüber hinaus als unabhängig respektiert. Trump sagte Fox-News-Radio am vergangenen Donnerstag: «Ich bin bereit dazu zu wetten, dass er Biden keine harten Fragen stellen wird. Er wird mir harte Fragen stellen.» Wallaces Moderation werde «unfair» werden. «Er wird von der radikalen Linken kontrolliert werden.»

Nach der Debatte verbreitet Trump auf seinem Account den Tweet eines Mitarbeiters seines Wahlkampfteams weiter, in dem es heisst, Wallace schulde dem Präsidenten und den Amerikanern eine Entschuldigung für sein Verhalten. Trumps Wahlkampfteam kritisiert, dass Wallace Trump 76 Mal unterbrochen habe, Biden dagegen nur 15 Mal. Wer die Debatte gesehen hat, weiss allerdings, wer den Anlass für diese eklatante Diskrepanz geliefert hat.

WAS DIE ZUSCHAUER SAGEN

Wallace ist in den rund 95 anstrengenden Minuten der Debatte sichtlich um Ausgewogenheit bemüht. Dennoch versinkt die Diskussion vor allem wegen des brachialen Stil von Trump über weite Teile im Chaos - und es gibt wenig Hoffnung, dass die beiden nächsten Fernsehduelle anders verlaufen werden. In einer anschliessenden Blitzumfrage des Senders CBS antworteten mehr als zwei Drittel der Befragten, die Diskussion habe sie vor allem verärgert.

Der Sprecher von Trumps Wahlkampfteam, Tim Murtaugh, gibt der Debatte danach den erwarteten Spin: Der Präsident habe jeden Moment des Duells kontrolliert, Biden habe sich als schwach erwiesen, schreibt Murtaugh auf Twitter. Die Debatte sei «ein kläglicher Misserfolg für Joe Biden» gewesen. Die Zuschauer urteilen anders. In einer Umfrage des Senders CNN sagen 60 Prozent, Biden habe sich in der Debatte besser geschlagen, nur 28 Prozent sehen einen Erfolg Trumps.

Für das Ergebnis der Wahl am 3. November muss das aber nichts heissen. Die Umfrage nach der ersten Debatte zwischen Trump und seiner Kontrahentin Hillary Clinton vor vier Jahren ergab ein ganz ähnliches Resultat. Wie die Wahl danach ausging, ist bekannt.