Feministisches Töpfern: Warum die Vulva neuen Raum bekommt
Fürs Töpfern gibt es inzwischen ganze Instagram-Kanäle. Und in manchen Ecken entstehen hippe Keramikstudios. Einige Tassen haben Brüste und Seifenschalen zeigen auch mal eine Vulva. Was hinter dem Trend steckt - und warum man dabei viel lernen kann.
Das Wichtigste in Kürze
- Manchmal müssen die Leute überlegen.
Wenn sie in der Töpferwerkstatt sitzen und eine Vulva formen sollen, haben manche erstmal ein Fragezeichen im Kopf. Einige merken dann: «Hey, ich weiss eigentlich gar nicht so richtig, wie eine Vulva aussieht», erzählt Catharina Rubel (29). Sie will daran etwas ändern. Feministisches Töpfern sieht man mittlerweile öfter - ob in einer Fernsehserie oder bei Instagram. Aber was steckt dahinter?
Fragt man junge Frauen, dann haben manche heute Tassen mit Brüsten zuhause. Auf einem Berliner Wochenmarkt werden Seifen in Vulvaform verkauft und in Onlineshops findet man zum Beispiel Kerzen und Ohrringe mit weiblichen Genitalien. Auch einen Kalender gab es schon, der in Freiburg konzipiert wurde. Das Schöne daran: Das Bild, das diese Gegenstände zeigen, ist ein neues.
Natürliche Brüste statt gängiger Schönheitsideale
Fangen wir bei den Brüsten an. In Rubels Berliner Werkstatt stehen Boobie-Tassen. Die Brüste darauf sind mal schief, mal zeigen sie nach unten. Sie sind immer unterschiedlich. Wenn Frauen das sehen, erzählt Rubel, sei der erste Kommentar oft: «Die sehen ja aus wie meine!»
Lange wurde in der Öffentlichkeit ein anderes Bild von Brüsten gezeichnet. Postkarten aus dem Strandurlaub zeigten pralle Dekolletés, das Fernsehen und entsprechende Magazine sowieso. Es sei immer nur eine Form von Brüsten sichtbar, sagt Rubel. «Perfekt geformt, gross, selbst stehend. Und wir zeigen eben natürlichere Brüste.» Auf einer Tasse ist auch nur eine Brust zu sehen - ein Bild, das etliche Frauen nach einer Krebserkrankung kennen.
Eine ähnliche Vielfalt will Rubel bei der Vulva darstellen. Denn das Bild, das vor allem in Pornos vermittelt werde, sei nicht gleichzusetzen mit dem Aussehen der meisten Vulven. Mit einer Kollegin betreibt Rubel das Keramikstudio «Villa Vulva» in Berlin. Das Atelier liegt in einem Kreativzentrum in Oberschöneweide. Das ist ein Stadtteil an der Spree, der weit weg vom Touristenstrom liegt, und in dem viel Spannendes passiert.
Über Missverständnisse aufklären
Bis heute gibt es manches Missverständnis über die Vulva, wie Franziska Dickmann (28) erzählt. Sie organisiert Workshops und ist mit zum Interview mitgekommen. Das grösste Missverständnis sei, dass da «nichts zu sehen» sei. Dabei sehe man ja bei den getöpferten Vulven, dass es viel zu sehen gebe: «Wir haben äussere und innere Vulvalippen. Die sind grösser, kleiner, haben unterschiedliche Farben. Sind also extrem divers.» Dickmann und Rubel sagen Vulvalippen, nicht «Schamlippen» - es gebe ja nichts zum Schämen.
Bei der Sprache sehen die beiden ohnehin Nachholbedarf. «Ich bin aufgewachsen mit dem Wort «Scheide» und habe das ganze Genital als Scheide verstanden», sagt Dickmann. Dabei beschreibe Scheide genauso wie Vagina nur den Schlauch zwischen der Vulva - also allem, was man äusserlich sehe - und der Gebärmutter. Und diese sprachliche Reduktion reduziere eben auch Sexualität.
Bis heute kämen Menschen mit Vulva in heterosexuellen Beziehungen seltener zum Orgasmus. Das liege daran, dass viel Wissen über Vulva und Klitoris nicht vorhanden sei, sagt Rubel. Und auch daran, dass es viel Scham gebe. Etwa wenn Frauen denken, ihr Bauch sehe in einer Position nicht schön aus. «Das möchten wir abbauen und sagen: «Hey, eigentlich ist Sexualität für alle Menschen schön.» Und wir müssen nur lernen, wie es gut funktionieren kann.»
Positives Körperbild von Frauen vermitteln
Dass beim Sprechen über weibliche Körper lange rumgedruckst wurde, hat beispielsweise Autorin Margarete Stokowski in ihrem Buch «Untenrum frei» eindrücklich beschrieben. Die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömquist schuf eine Graphic Novel zur Vulva: «Der Ursprung der Welt» erzählt, wie Frauen und ihre Körper im Laufe der Geschichte systematisch abgewertet oder gar verstümmelt wurden.
Wie sehr die Darstellung einer Vulva polarisieren kann, zeigt auch der Dokufilm «Female Pleasure». Darin geht es nicht nur um sexuelle Unterdrückung oder etwa die Beschneidung von Frauen. Vorgestellt wird auch eine japanische Künstlerin, die Ärger bekam, weil sie ein Kajak herstellen liess - als 3D-Druck ihrer Genitalien.
«Female Pleasure»
Mit ihrem Projekt will Rubel jedenfalls ein positives Körperbild vermitteln und zeigen: «Hey, Diversität ist normal.» Mit dem Töpfern steige hoffentlich die Wertschätzung für den eigenen Körper. Wenn Menschen in ihrem Kurs sitzen und erstmal überlegen müssen, hilft schnelles Googeln jedenfalls nicht immer. Mittlerweile gebe es aber einige schöne Onlinegalerien mit unterschiedlichen Vulven, sagt Dickmann. Bekannt sei auch das Kunstwerk «Great Wall of Vagina».
Gibt es auch Kritik an ihrer Arbeit? Manche Menschen könnten mit der plakativen Form der Darstellung von Genitalien nicht so viel anfangen, sagt Rubel. «Das kann ich auch verstehen.» Sie sei auch nicht der Überzeugung, dass man im öffentlichen Raum viele Genitalien zeigen sollte. Aber Penisse sehe man schon überall, als Graffiti oder Schulkritzelei. Es gebe also ein Ungleichgewicht.
Beide machen klar, dass übrigens auch das Bild vom Penis nochmal überdacht werden kann. Denn der werde immer in erigierter Form gezeigt - eher selten der Normalzustand.