Wohnungsbau auf den Dächern von Discountern

Bezahlbarer Wohnraum ist knapp - dabei wäre in den Innenstädten noch Platz, meinen Experten. Sie haben die «hässlichen Wunden der Stadt» im Blick: Parkhäuser, Discounter und Bürogebäude.

Auf dem Dach der Lidl-Filiale an der Bornholmer Strasse im Bezirk Prenzlauer Berg sind Wohnungen entstanden. Auf Bürogebäuden, Parkhäusern und Discountern könnten einer Studie zufolge Hunderttausende Wohnungen entstehen. Foto: Wolfgang Kumm - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Direkt neben dem Pfandautomaten geht es hoch, oben drei Zimmer, Parkettboden, Terrasse - und wenn der Kühlschrank mal leer ist, muss man zum Einkaufen nicht mal die Jacke anziehen.

Auf den Dächern von Supermärkten könnten nach Einschätzung von Experten bundesweit Hunderttausende Wohnungen entstehen. Sie sagen: Wenn man auch Bürogebäude und Parkhäuser aufstocken und Parkplätze klug nutzen würde, könnte sich der gerade in Grossstädten so enge Wohnungsmarkt deutlich entspannen.

Bundesweit fehlen nach Schätzungen des Pestel-Instituts aktuell etwa eine Million Wohnungen. Eigentlich müssten jährlich rund 400.000 gebaut werden - im vergangenen Jahr seien es immerhin 300.000 Wohnungen gewesen, sagt Institutsleiter Matthias Günther. Doch vor allem im Rhein-Main-Gebiet, rund um Düsseldorf und Köln, Münster und Paderborn, nördlich von Hamburg, rund um Berlin, München, Stuttgart und Freiburg würden viele neue Wohnungen gebraucht.

Mangel an Flächen

Gerade in den Städten ist günstiges Bauland inzwischen aber eine Seltenheit. Oft ist zwar das Geld da, Kredite sind noch immer günstig, aber es fehlen die Flächen. Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt haben sich für ein Bündnis von Wohnungs- und Bauverbänden deshalb Luftbilder der grösseren Städte angeschaut und nach Platz für Wohnungen gesucht.

Gefunden haben sie die «Narben der Stadtentwicklung», wie Studienleiter Karsten Tichelmann sagt: Einstöckige Supermärkte mit grossen, asphaltierten Parkplätzen, pragmatisch gestaltete, «spröde» Parkhäuser mitten in der Innenstadt, anspruchslose Zweckbauten mit Büros und Geschäften. Wenn man sie klug aufstocken, leere Gebäude und Parkplätze besser nutzen würde, könnten mehr als 1,2 Millionen Wohnungen gebaut werden, sagt Tichelmann - ohne einen Quadratmeter neues, teures Bauland.

Grosses Potenzial

Oben wohnen, unten einkaufen oder parken: Ganz neu ist die Idee nicht. Der Berliner Senat hat nachgerechnet und an 330 Standorten mit eingeschossigen Lebensmittelmärkten ein Potenzial für 14.000 bis 36.000 Wohnungen ausgemacht. Eine Filiale mit Dach-Wohnungen hat der Discounter Lidl in der Nähe des berühmten früheren Grenzübergangs Bornholmer Strasse gebaut. Mehrere ähnliche Projekte seien geplant, auch in München, Frankfurt und Hamburg, heisst es. Auch Aldi Nord will in Berlin rund 2000 Wohnungen bauen, die ersten sollen im Frühjahr 2020 fertig sein, an 15 weiteren Standorten sei man in der Planung.

Einfach Stockwerke auf alte Flachbauten aufsetzen, das geht nach Einschätzung der Bundesarchitektenkammer aber nicht. «Die Discounter wird man nicht überbauen können», sagt Referatsleiter Paul Lichtenthäler. Zum einen sei das Gebäude dafür nicht ausgelegt, zum anderen aber nutze man das Grundstück mit dem oft grossen Parkplatz dann auch nicht optimal aus.

Doch natürlich sei es gut, wenn diese «hässlichen Wunden der Stadt» verschwänden. «Im Prinzip muss man abreissen und von vorne anfangen», sagt er - mit Tiefgaragen und Einfahrten für Lieferwagen, damit es morgens nicht zu laut werde. «Gegen Lärm kann man zwar mit Fenstern viel hinkriegen», sagt er. «Aber die Leute werden trotzdem merken, dass sie über einem Markt wohnen.»

Langes Warten auf Baugenehmigung

Auch Beispiele für Wohnen auf dem Parkhaus gibt es schon. In Köln setzten Architekten einem alten weiss verputzte Häuschen aufs Dach, zwischen ihnen eine geschwungene Dorfgasse, die an südeuropäische Fischerdörfer erinnern soll. Allerdings dauerte es Jahre, bis sie eine Baugenehmigung bekamen. Das Planungsrecht müsse flexibler werden, fordern Bauverbände.

Oft lägen Supermärkte und Parkhäuser sehr attraktiv mitten in der Stadt, sagt Tichelmann. «Warum werden diese kostbaren Flächen freigehalten?», fragt er. In der Regel könne man die Wohnungen darauf relativ teuer vermieten: Guter Ausblick, Sonne, moderne Ausstattung. Zudem liessen sich gerade Parkhausdächer gut begrünen, da sie viel Last aushielten - hier könnten etwa Kindertagesstätten entstehen.

Doch sind die Supermärkte-Klötze mit ihren grossen Parkplätzen damit überall Vergangenheit? Nein, heisst es bei Lidl. Filialen mit Wohnbebauung eigneten sich nicht für jeden Standort. «Auf dem Land, in kleineren Städten und am Stadtrand benötigen wir eingeschossige Filialen mit grosszügigen und kundenfreundlichen Parkflächen.» Und auch in den Grossstädten wollten die Leute sicher nicht in Industriegebieten oder an viel befahrenen Bahnstrecken leben.