Brockenstuben machen Umsatz mit entstaubtem Image und Events
Vintage, Retro-Style und Nachhaltigkeit erobern die Schweiz: Nicht nur deshalb haben Brockenstuben regen Zulauf.
Das Wichtigste in Kürze
- Immer mehr Menschen gehen in Brockis auf Schnäppchenjagd.
- Die Mekkas des Secondhand bieten auch ein Erlebnis und übernehmen soziale Aufgaben.
Vintage, Retro-Style und Nachhaltigkeit erobern die Schweiz: Nicht nur deshalb haben Brockenstuben regen Zulauf. Die Mekkas des Secondhand bieten auch ein Einkaufserlebnis und übernehmen soziale Aufgaben.
Schnäppchenjäger und Heimwerker werden in Brockis fündig, aber auch Kulturliebhaber kommen auf ihre Kosten, denn um Kundschaft anzulocken, lassen sich Brockis allerhand einfallen. So auch die Brockenhäuser der Heilsarmee.
Die christliche Organisation betreibt in der Schweiz momentan 20 Filialen. In den kommenden zehn Jahren seien fünf bis zehn weitere geplant, sagte Jakob Amstutz, Geschäftsleiter der Heilsarmee-Brockis, gegenüber der Agentur Keystone-sda.
Die Heilsarmee Brockis setzen seit einigen Jahren auf ein neues Ladenkonzept. Aus diesem Grund wurden sogar Unternehmensberater engagiert, wie die «Handelszeitung» letzte Woche berichtete. Es sei wichtig, mit einer einladenden Warenpräsentation weg vom verstaubten Image zu kommen. Damit könne man neue Kundschaft gewinnen, sagt Amstutz.
Keine Angst vor Internetkonkurrenz
Angst vor Internetkonkurrenz wie «tutti.ch» oder «nimms.ch» hat Amstutz nicht, dafür sprechen auch die Umsatzzahlen - pro Brocki jährlich etwa eine Million Franken. «Das Brocki als Erlebniswelt des Secondhand und die persönliche Beziehung sprechen die Kunden an», sagte Amstutz. Im Internet dagegen sei das schnelle Verkaufen von Waren den Leuten oft auch ein zu grosser Aufwand. Auch Hervé Dobler, Geschäftsleiter der Brockenhäuser der christlichen Hilfsorganisation Hiob, erklärte: «Im Brockenhaus finden Sie einmalige Artikel, die sonst niemand besitzt.» Auch könne man gebrauchte Artikel genau begutachten. Schnäppchenjäger können sogar im Online-Schaufenster des Brockis auf Jagd nach Unikaten gehen.
Für fast jeden Artikel finde sich ein Käufer, Ladenhüter seien lediglich grosse, dunkle Wohnwände: «Man kann kaum glauben, was alles gesammelt wird.» Auch Multimedia-Artikel sind laut Dobler sehr begehrt, allen voran Kassettenrekorder und Hörspielkassetten: «Die sind von Kindergärtnerinnen sehr gesucht.»
Pop-Up-Store am Festival
Die Heilsarmee Brockenhäuser wenden sich auch ans junge Publikum. So hat sich das Brocki schon zum zweiten Mal am Paléo-Festival in Nyon mit einem Brocki’Truck unter das Volk gemischt. Im Pop-Up Store wurde alles feilgeboten, was es für ein Festival braucht, darunter Flip Flops, Hüte, Sonnenbrillen, Gummistiefel und Campingartikel. Es habe viele Gespräche und interessante Begegnungen gegeben, die den Gedanken «Secondhand makes happy» unter die Festivalbesucher gebracht hätten. «Wir wollten auch eine weitere Facette der Heilsarmee aufzeigen, nicht nur das christliche Image», sagte Amstutz.
Der Gedanke, in der Westschweiz an einem Grossanlass teilzunehmen, war nicht ganz uneigennützig. Im Gegensatz zur Deutschschweiz laufen Heilsarmee-Brockenhäuser jenseits des Röstigrabens offenbar weniger gut. «Wir wollen dort unser Filialnetz ausbauen und Brockenhäuser als Alternative zu Billigläden etablieren», sagte Brocki-Leiter Amstutz.
Ähnliche Erfahrungen mit der Westschweiz haben auch die Brockis des Blauen Kreuzes gemacht. «In der Romandie werden Brockis von Menschen mit geringem Einkommen besucht, sie haben dort vermehrt das Image von Anbietern billiger Altwaren», ortete Geschäftsleiter Didier Rochat einen Grund. In der Deutschschweiz hingegen würden Brockis auch von besser situierten Kunden besucht. Das Blaue Kreuz Schweiz betreibt vier Brockenhäuser, 23 werden von Regionalstellen betrieben.
Kundennähe mit Events
An Einfallsreichtum mangelt es den Brockenstuben nicht. Thementage, Buchpräsentationen und sogar Plattentaufen finden in den entstaubten Lokalitäten statt. Aber auch Kurse zu Themen wie «Shabby-Chic» und Schriftenmalen. In der Brockenstube «Bärner Brocki» im Lorrainequartier der Bundesstadt können im «Café Wohnzimmer» Kuchen und anderen Köstlichkeiten genossen werden. Auch Geschichtennachmittage für Kinder finden statt. Betrieben wird das Brocki von der Stiftung GEWA für berufliche Integration.
Kundennähe zeigten die Heilsarmee-Brockis letztes Jahr auch mit ihrem Pilotprojekt: In einigen Gemeinden des Kantons Zürich konnte ausgemusterte Ware in Brockitaschen beim hauseigenen Briefkasten abgestellt werden. Die Waren wurden ganz unbürokratisch vom Postboten mitgenommen. Für Warenspender war das Angebot kostenlos.
Soziale Komponente
Ein Teil des Erlöses vieler Brockenhäuser fliesst in soziale Einrichtungen und Projekte. Sie bieten aber auch sozial oder gesundheitlich beeinträchtigten Menschen Arbeitsplätze und Beschäftigunsgprogramme. So zum Beispiel beschäftigen die Heilsarmee-Brockis nebst 180 Arbeitnehmenden auch 50 bis 70 Personen, die vom RAV oder der IV vermittelt werden oder Sozialhilfe beziehen. Auch bei Hiob werden Arbeitsplätze für die Wiedereingliederung angeboten, so könne man zum Beispiel mit der Arbeit im Brocki seine Busse abverdienen, sagte Dobler. Bei Hiob sind nebst 160 Mitarbeitenden rund 30 Arbeitsplätze für die Wiedereingliederung reserviert.