Neue Biografien, real und fiktiv
Das biografische Erzählen stellt einen aktuellen Trend unter den Neuerscheinungen dar. Eine Übersicht.

Biografisches Erzählen ist ein Trend unter den aktuellen Neuerscheinungen. Die Vielfalt ihrer literarischen Formen überrascht.
AGNES SIEGENTHALER, «SO NAH, SO HELL»
Eine gute Idee, ein skurriler Plot und eine so präzise wie poetische Sprache machen aus dem Roman «So nah, so hell» einen gelungenen Erstling. Die Protagonistin dringt in verlassene Gebäude ein und nimmt jeweils einen Gegenstand mit, der die Essenz dieser Orte in sich trägt.
In einem Bergdorf zwingt ein Sturm sie, im Haus einer kürzlich Verstorbenen auszuharren, zusammen mit deren einzigem Erben. Anhand der Gegenstände, mit denen das Haus vollgestopft ist, setzt die junge Frau das Leben seiner Bewohnerin allmählich wie ein Puzzle zusammen. Dabei hilft ihr ein altes Hygrometer an der Wand.
Agens Siegenthaler: «So nah, so hell». Roman. Zytglogge, 160 Seiten.
WANDA DUFNER, «BAUCHLANDUNG»
Warum nicht schon mit 33 Jahren eine Autobiografie veröffentlichen? Wenn man wie Wandas Dufner mit 17 Mutter wurde, Illustratorin und Klamottendesignerin ist, resultiert daraus eine grelle Graphic Novel. So erzählt «Bauchlandung» nicht nur die Geschichte einer Teenager-Schwangerschaft, sondern hält auch der moralisierenden Gesellschaft gnadenlos den Spiegel vor. Gut gebrüllt, Löwin!
Wanda Dufner: «Bauchlandung». Graphic Novel. Edition Moderne, 400 Seiten.
STEVEN SCHNEIDER, «DIE SCHNELLSTE FRAU DER WELT»
Wen wunderts, dass eine Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgreich Autorennen fuhr und gar ihren Motorsport-erprobten Ehemann hinter sich liess, ausgebremst wurde? Unter dem Titel «Die schnellste Frau der Welt» erzählt der Journalist Steven Schneider die Lebensgeschichte der Tschechin Eliška Junková romanhaft, aber faktentreu.
Und vor allem: empathisch. Wer die Kultkolumne «Schreiber vs. Schneider» in der Coop-Zeitung kennt, weiss, weshalb sich dieser Autor so gut in Frauen einfühlen kann – parliert er dort doch seit 25 Jahren mit seiner Gattin, der Autorin Sybil Schreiber, und berichtet auch vom Aufwachsen der gemeinsamen Töchter.
Steven Schneider: «Die schnellste Frau der Welt». Roman. Rüffer & Rub, 400 Seiten.
WILFRIED MEICHTRY: «DIE WELT IST VERKEHRT, NICHT WIR!»
«Wäre die Liebesgeschichte von Katharina von Arx und Freddy Drilhon erfunden, würde man sie schwerlich glauben», steht im Klappentext des neuen Werks von Wilfried Meichtry. Dieser Autor hat ein Händchen für historische Stoffe, die romanhafter sind als jeder Roman.
Daher muss er daraus keinen machen, sondern sich nur an die Quellen halten und diese dramaturgisch effektvoll zusammenschneiden – schon läuft vor unserem inneren Auge ein Film ab. In diesem Fall ist es die Lebensgeschichte einer Schweizer Reporterin, die in den 1950er-Jahren ganz auf sich gestellt die Welt bereiste und einige Südseeinseln als erster weisser Mensch erkundete. Dass sie ausgerechnet dabei den Mann ihres Lebens fand, grenzt tatsächlich an fiktiven Kitsch. Doch Meichtry erdet den abenteuerlichen Stoff souverän.
Wilfried Meichtry: «Die Welt ist verkehrt, nicht wir!» Biografie. Nagel & Kimche, 352 Seiten. (Erscheint am 24. Juni)*
*Diese Zusammenstellung von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.