Wirecard schockiert Börse mit möglichem Betrugsfall rund um Treuhandkonten

Die Turbulenzen beim Finanzdienstleister Wirecard haben sich dramatisch zugespitzt: Das im deutschen Leitindex Dax gelistete Unternehmen schockierte die Börse am Donnerstag mit Unklarheiten über den Verbleib von 1,9 Milliarden Euro und einer damit zusammenhängenden erneuten Verschiebung seines Jahresabschlusses.

Börse in Frankfurt am Main - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Verbleib von rund zwei Milliarden Euro unklar - Jahresabschluss erneut verschoben.

Der Aktienkurs von Wirecard brach dramatisch ein. Vorstandschef Markus Braun sprach von möglichen «betrügerischen Vorgängen». Ein Vorstandsmitglied wurde mit sofortiger Wirkung freigestellt.

Sein Unternehmen werde Anzeige gegen unbekannt stellen, kündigte Braun am Unternehmenssitz im bayerischen Aschheim bei München an. Wirecard war nach eigenen Angaben zuvor von den Abschlussprüfern darauf hingewiesen worden, dass für die Existenz von Bankguthaben über 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten bei zwei asiatischen Banken keine ausreichenden Nachweise vorlägen. Die Abschlussprüfer sahen sich ausserstande, ein Testat ohne weitere Überprüfungen zu erteilen.

Die Summe entspricht laut Unternehmen in etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme und war von Tochtergesellschaften als Garantie für das Risikomanagement von Händlern hinterlegt worden, für die Wirecard Zahlungen abwickelt. Die beiden kontenführenden Banken hätten mitgeteilt, dass «die betreffenden Kontonummern nicht zugeordnet werden konnten», hiess es. Es gebe Hinweise, dass ein Treuhänder «zu Täuschungszwecken» falsche Bestätigungen vorlegt habe, um ein falsches «Vorstellungsbild» der Guthaben zu geben.

Wirecard reagierte mit einem Vorstandsumbau und gab am Abend die Freistellung des Vorstandsmitglieds Jan Marsalek bis Ende des Monats bekannt. Zugleich berief das Unternehmen James Freis mit sofortiger Wirkung zum Compliance-Vorstand. Ursprünglich sollte er den neu geschaffenen Posten erst Anfang Juli antreten.

An der Börse in Frankfurt am Main brach die Aktie von Wirecard am Donnerstag zeitweise um fast 70 Prozent ein. Aktionärsschützer reagierten entsetzt. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) kündigte an, Schadenersatzansprüche von Aktionären wegen möglicher Pflichtverletzungen zu prüfen und gegebenenfalls zu bündeln. Es war bereits das vierte Mal, dass Wirecard die Vorlage seines eigentlich für April angekündigten Abschlusses verschob.

Nach eigenen Angaben könnte die neuerliche Verschiebung für das Unternehmen, das seit Monaten wegen seiner Bilanzen nicht zur Ruhe kommt, ausserdem weitere schwerwiegende finanzielle Folgen haben. Wenn bis zum Freitag kein Jahres- und Konzernabschluss vorgelegt werde, könnten Banken Kredite in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro kündigen, teilte Wirecard am Donnerstag mit. Einen neuen Termin für den Jahresabschluss nannte das Unternehmen nicht.

Darüber hinaus erklärte die deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin, die neuen Entwicklungen in ihre ohnehin bereits eingeleiteten Untersuchungen wegen möglicher Marktmanipulation gegen Wirecard einfliessen zu lassen. Vor dem Hintergrund des wiederholt verschobenen Jahresabschlusses hatte die Bafin das Unternehmens Anfang Juni angezeigt. Daraufhin war der Firmensitz von der Staatsanwaltschaft durchsucht worden.

Wirecard stand seit seiner Gründung 1999 immer wieder im Zentrum von Aktienspekulationen. Im vorigen Jahr schrieb die britische «Financial Times» wiederholt über angeblich vorgetäuschte Umsätze und gefälschte Verträge bei Wirecard in Singapur. Wirecard wies die Anschuldigungen stets als verleumderisch zurück. Wegen der Berichte ging die Aktie des Dienstleisters auf Achterbahnfahrt.

Die Initiative Minderheitenaktionäre sprach am Donnerstag von einem «unternehmerischen Offenbarungseid» und forderte den Rücktritt von Unternehmenschef Braun. Derzeit erfülle das Unternehmen «nicht die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Kapitalanlage».