Bern und Hamburg spannen zusammen bei Erforschung des Gurlitt-Erbes
Das Kunstmuseum Bern und die Universität Hamburg untersuchen gemeinsam rund 400 Werke aus dem Konvolut des verstorbenen Deutschen Kunstliebhabers Cornelius Gurlitt
Das Kunstmuseum Bern und die Universität Hamburg untersuchen gemeinsam rund 400 Werke aus dem Konvolut des verstorbenen Deutschen Kunstliebhabers Cornelius Gurlitt. Das Berner Haus finanziert ein Jahr lang die Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin. «Mit Annahme des Erbes von Cornelius Gurlitt (1932–2014) hat das Kunstmuseum Bern eine besondere Verantwortung übernommen»: So wird Nicola Doll, Leiterin der Abteilung Provenienzforschung, in einer Mitteilung des Kunstmuseums Bern vom Freitag zitiert. Die Kooperation soll die bisherige Forschung durch die «Taskforce Schwabinger Kunstfund», benannt nach dem Wohnort Gurlitts, und am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg ergänzen.
Werke der «entarteten Kunst»
Bei den beforschten Kunstwerken handelt es sich um solche, die mutmasslich der sogenannten «entarteten Kunst» zugerechnet werden. Darunter versteht man Kunstwerke der klassischen Moderne, die die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung aus Museen entfernen liessen, da sie nicht ihrem Weltbild entsprachen. Von Raubkunst wird gesprochen, wenn Werke ihren Besitzern abgepresst oder vom Nazi-Regime beschlagnahmt wurden. Als Raubkunst identifizierte Kunstwerke werden, wenn immer möglich, ihren Besitzern oder deren Nachkommen zurückgegeben. Bei Werken der «entarteten Kunst» besteht diese Verpflichtung nicht, denn das Nazi-Regime plünderte sozusagen seine eigenen Museen aus. Die Kooperation Bern/Hamburg erlaube es auch, objektbezogene Forschung und Grundlagenforschung zusammenzuführen, betont Gesa Jeuthe von der Universität Hamburg laut Mitteilung. Erst durch den Einbezug von historischen und kunsthistorischen Kontexten könnten qualifizierte Aussagen zur Recht- oder Unrechtmässigkeiten von Besitzerwechseln bei Kunstwerken gemacht werden. Am kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg wurde die erste Professur für Provenienzforschung eingerichtet, die Liebelt-Stiftungsprofessur. Zudem besitzt das Seminar eine Forschungsstelle «entartete Kunst», die über besondere Kenntnisse dieser Materie verfügt. Die 400 Werke wollen die Hamburger und Berner Wissenschaftler im Kontext des Kunsthandels der 1930-er bis 1960-er Jahre erforschen. Die Ergebnisse sollen umfassend und transparent veröffentlicht werden.
Raubkunst-Alarm
Das Gurlitt-Erbe hat eine wechselvolle Geschichte. Cornelius Gurlitt vermachte kurz vor seinem Tod im Jahr 2014 überraschend mehr als tausend Kunstwerke, teilweise von Weltrang, dem Kunstmuseum Bern. Cornelius war der Sohn von Hildebrand Gurlitt, einem auch für das NS-Regime tätigen Kunsthändlers. Nach dessen Tod hortete Cornelius das vom Vater zusammengetragene Konvolut in aller Diskretion. Als die Bilder schliesslich zum Vorschein kamen, stand das Gurlitt-Konvolut sogleich unter Raubkunstverdacht. Nach längerer Bedenkzeit entschied sich das Kunstmuseum Bern schliesslich für die Annahme des nicht ganz einfachen Erbes. In einer Abmachung mit Deutschland wurde festgehalten, dass die Provenienzforschung im Grundsatz in Deutschland erfolgt. Namentlich die unter Raubkunstverdacht stehenden Werke sollten dort abgeklärt und wenn möglich an Betroffene oder deren Nachkommen zurückgegeben werden. Das Kunstmuseum Bern solle nur «saubere Bilder» übernehmen, so die Abmachung. Bern verpflichtete sich, sich substanziell an der Herkunftsforschung zu beteiligen. 2017 eröffnete das Kunstmuseum Bern als erstes Museum der Schweiz eine Abteilung für Provenienzforschung. Der anfängliche Raubkunstverdacht erhärtete sich bisher längst nicht in so vielen Fällen wie anfänglich vermutet. Verschiedene als Raubkunst identifizierte Meisterwerke konnten unterdessen bereits den Besitzern oder deren Nachkommen zurückgegeben werden. Im Kunstmuseum Bern und in der Bundeskunsthalle im Deutschen Bonn fand vom November 2017 bis im Januar 2019 eine grosse Doppelausstellung mit Werken aus dem Gurlitt-Erbe statt.