Science-Diplomacy im 21. Jahrhundert

Der Bundesrat
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Bern,

St. Gallen, 25.05.2019: Rede von Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich des Dies academicus der Universität St. Gallen

Symbolbild
Symbolbild - Gemeinde Sempach

St. Gallen, 25.05.2019: Rede von Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich des Dies academicus der Universität St. Gallen – Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrter Herr Rektor, Prof. Dr. Thomas Bieger Sehr geehrter Regierungsratspräsident Stefan Kölliker Sehr verehrte Mitglieder von National und Ständerat Verehrte Vertreterinnen und Vertreter der Politik Hochgeschätzte Vertreterinnen und Vertreter von Lehre, Forschung und Wissenschaft,

Sehr geehrte Ehrendoktoren und Ehrensenatoren

Liebe Gäste

Meine Damen und Herren

Vielen Dank für Ihre freundliche Einladung zum diesjährigen Dies academicus an der Universität St. Gallen. Ich freue mich, Ihnen die besten Grüsse und Wünsche der Landesregierung zu überbringen.

1. Rückblick – St. Gallen war «nur» zweite Wahl

Als ich mich auf den heutigen Festakt vorbereitete, stiess ich auf eine Anekdote in Zusammenhang mit der Geschichte der HSG. Sie schafft einen Bezug zu meinem Heimatkanton. Wie Sie wissen, wurde der Grundstein für die Universität St. Gallen 1898 gelegt. Auf Anregung von Landammann Theodor Curti beschloss der Grosse Rat des Kantons St. Gallen am 25. Mai – also genau heute vor 121 Jahren – die Gründung einer «Verkehrsschule und einer höheren Schule (Akademie) für Handel, Verkehr und Verwaltung». Der Regierungsrat hatte Theodor Curti ein Jahr zuvor beauftragt, die Frage einer Bewerbung von St. Gallen um den Sitz einer schweizerischen Handelsakademie zu prüfen. Das Modell einer eidgenössischen Handelsakademie stand zu diesem Zeitpunkt im Vordergrund. Im Zuge der Revision der Bundesverfassung von 1874 wurde der Bundesregierung nämlich die Kompetenz übertragen, « […] höhere Unterrichtsanstalten zu errichten oder […] zu unterstützen». Aber St. Gallen war «nur» zweite Wahl. Curti hatte die Idee einer eidgenössischen Handelsakademie bereits sechzehn Jahre zuvor – allerdings mit Sitz im Kanton Tessin. Das Tessiner Projekt wurde jedoch leider (!) nicht verwirklicht. Die Realisierung einer Handelshochschule war in dieser Zeit etwas Neues und Unbekanntes. Man wusste nicht, wie es sich entwickeln würde. Deshalb diskutierten auch andere Kantone über die Errichtung von Handelsakademien, namentlich Basel, Zürich - oder eben St. Gallen. Aus einer föderalistischen Überzeugung heraus sah der Bundesrat von der Errichtung einer eidgenössischen Anstalt jedoch ab und begnügte sich damit, kantonale Handelsschulen zu unterstützen.

2. Von der HSG zum EDA

Aus der ursprünglichen Handelsschule ist inzwischen eine Universität mit Forschung und Lehre in einem breiten Themengebiet entstanden. Mit Projekten in englischer Sprache konnte bereits früh die internationale Vernetzung gefördert werden, so dass die Universität heute zu den führenden Wirtschaftshochschulen Europas zählt. Einst als «Handelsakademie» gegründet, zeichnet sich die Universität St. Gallen heute durch Praxisnähe, Internationalität und eine integrative Sicht von Studium, Weiterbildung und Forschung aus. In diversen Business School Rankings nimmt die HSG immer wieder Spitzenplätze ein. Diese Spitzenposition wird auch in der Diplomatie sehr geschätzt: Zahlreiche Mitarbeitende in meinem Departement – dem EDA - sind Absolventen Ihrer Universität. Dazu zählen etwa unser Generalsekretär Markus Seiler, der mich heute nach St. Gallen begleitet hat. Fünf von fünfundzwanzig Kommilitoninnen und Kommilitonen, die gemeinsam mit ihm 1991 ihr Studium in Staatswissenschaften abgeschlossen haben, sind heute in Spitzenpositionen im Aussendepartement oder im Parlament vertreten. Oft fragt man mich, ob man «Internationale Beziehungen» studiert haben müsse, um einen aussenpolitischen Beruf in unserem Departement auszuüben. Das ist bestimmt keine schlechte Vorbereitung, aber nicht der einzig mögliche Weg. Schauen Sie mich an: Ich bin Mediziner und arbeite ebenfalls in der Aussenpolitik! Da ich aber nicht an der Uni St. Gallen studiert habe, muss ich alle 4 Jahre vom Parlament wiedergewählt werden! In der Tat hat es praktisch keine Studienrichtung, die bei uns nicht vertreten wäre – und das ist richtig so! Die Aussenpolitik ist zunächst mal Politik, und die Politik lebt von der Vielfalt der Ideen und den Repräsentanten. Wir suchen also Profile, die die aussenpolitischen Dossiers fachlich kennen und ihnen dank ihrem Kommunikationstalent Gewicht verleihen können. Wir zielen auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Theorie und Praxis: Neugierige und gescheite lösungsorientierte Mitarbeitende, die mit Pragmatismus und gesundem Menschenverstand für Neues offen sind. Wenn man an Aussenpolitik denkt, dann kommt einem zuerst das Bild der Botschafterin oder des Generalkonsuls in den Sinn. Das EDA kennt aber eine breite Palette von Berufsbildern: sei es der wissenschaftliche Mitarbeitende in der geo-politischen Direktion, die Juristin bei der Völkerrechtsdirektion, die Expertin der Humanitären Hilfe oder der Mediator in der Konfliktprävention.

Hinzu kommen die Berufsgattungen, d.h. die für das EDA spezifischen Corps de métier, mit Versetzungsdisziplin:

- Die diplomatische Karriere

- Die konsularische Karriere

- Die Karriere in Internationaler Zusammenarbeit

So wie andere Berufsgattungen, wie z.B. jene der Ärzte, Juristen oder Architekten, entwickeln sich auch die Karrieren im EDA. Wir sind daran, die Berufsbilder weiterzuentwickeln. Dabei geht es um die Frage, welche Diplomaten, welche konsularischen Dienste, welche Entwicklungshelfer unser Land für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts braucht. Allen drei EDA-Karrieren ist gemeinsam, dass es mehrstufige Eintrittsverfahren – sogenannte Concours – und eine bis zu zwei Jahre dauernde Ausbildungsphase gibt, bevor es zu einer Festanstellung kommt. Sie spüren es: Ich mache Werbung für den Arbeitgeber EDA. Ihre Hochschule ist bestens geeignet, unsere künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszubilden. Aber wir müssen wissen, was wir wollen!

3. Zukunft der Diplomatie

Die Aussenpolitik wird für die Sicherheit, den Wohlstand und die Eigenständigkeit der Schweiz – gemäss Art. 2 der Bundesverfassung - immer wichtiger sein. Die Schweiz ist eine Erfolgsgeschichte, aber sie wird diesen Erfolg in den nächsten zehn Jahren unter veränderten internationalen Bedingungen fortschreiben müssen. Dies braucht Mut zu Veränderungen. Die Aussenpolitik muss fokussierter, vernetzter und agiler werden. Sie soll dazu dienen, Opportunitäten wahrzunehmen. Gleichzeitig soll sie wissen, wohin die Schweiz will. «Wenn du nicht weisst, wo du hinwillst, dann ist es egal welchen Weg du einschlägst. Jeder wird falsch sein», sagt die Katze zu Alice im Wunderland. Als stark vernetztes Land und Gaststaat zahlreicher internationaler Organisationen haben wir ein grosses Interesse daran, nach vorne zu schauen. Wir können es uns schlicht nicht erlauben zurückzufallen. Deswegen habe ich im vergangenen Herbst eine Expertengruppe eingesetzt, die sich damit auseinandergesetzt hat, wie die Aussenpolitik der Schweiz in Zukunft aussehen könnte. Sie hat also eine aussenpolitische Vision – AP Vision 2028 - erarbeitet. Das Resultat wird Anfang Juli der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Gruppe hat unsere Mitarbeitenden ebenfalls in die Analyse einbezogen.

Die Aussenpolitik der Zukunft wird ein breiteres Kompetenzprofil erfordern:

• Mehr Wirtschaftsexpertise, sowohl in der Schweizer Diplomatie als auch in der internationalen Zusammenarbeit.

• Mehr Fachwissen zu den neuen Technologien.

• Stärkerer wissenschaftlicher Ansatz bei den Themen.

• Bessere und kohärentere Kommunikation

• Sprachbegabungen in bis anhin weniger praktizierte Sprachen (chinesisch, arabisch, russisch, …)

Neben Generalisten mit breiten Kompetenzen – insbesondere im Aussennetz – brauchen wir Fachspezialisten in den Themen, die mit der digitalen Revolution des 21. Jahrhunderts verbunden sind: Ich denke zum Beispiel an künstliche Intelligenz, Fintech, Robotics und neue Mediationsarten. Diese neue Welt schafft Ängste, sie ändert das Verhalten der Menschen, sie beeinflusst die Arbeitsmärkte. Sie schafft auch unglaubliche Opportunitäten für die Menschheit. Welche ethischen Standards, welche Regulierungen sind hier nötig? Die ganze Welt beschäftigt sich damit, auch das internationale Genf. Man muss die Wissenschaft verstehen und die Diplomatie können, um neue Wege einzuschlagen. Wo hätte man eine bessere Ausgangslage als in der Schweiz, insbesondere mit ihrer Genève internationale? Der Bundesrat hat Ende Februar – zusammen mit dem Kanton Genf - die Stiftung GESDA «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» geschaffen. Sie soll die gesellschaftlichen Auswirkungen der technologischen und wissenschaftlichen Herausforderungen analysieren und Lösungen vorschlagen, wie die globale Gemeinschaft damit umgehen kann. Sie soll somit eine Katalysatorrolle für das internationale Genf des neuen Jahrhunderts spielen, neben den traditionellen Themen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Auf diese Herausforderungen bereitet sich auch die Universität St. Gallen vor. Als führende Wirtschaftsuniversität fördert sie integratives Denken, verantwortungsvolles Handeln und unternehmerischen Innovationsgeist in Wirtschaft und Gesellschaft. Die HSG setzt sich hohe Ziele – nutzen wir dies als Quelle der Inspiration und setzen auch wir uns hohe Ziele. Nur so stellen wir sicher, dass uns auch in Zukunft der Sprung an die Weltspitze gelingt. Neben dem internationalen Genf, können auch St. Gallen und die ganze Ostschweiz eine stärkere Rolle im Feld von «Science-Diplomacy» spielen.

Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg auf Ihrem Weg an die Spitze!

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