Für Filmmusik-Komponistin Mirjam Skal haben Töne Farben
Mirjam Skal holt sich als Filmmusik-Komponistin Auftrag um Auftrag – und Preise gleich dazu. Sie erzählt, wie alles mit einem Klang im Kopf begonnen hat.

Den Gong im Kopf hörte Mirjam Skal während des Schnuppertags vor über zehn Jahren an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Die heute 28-Jährige war sich vorher nicht sicher, was sie studieren wollte. «Vieles war damals möglich für mich», sagt sie im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Doch «Komposition für Film, Theater und Medien», wie der Studiengang heisst, hat Skal gepackt – auch akustisch.
Diese Ausbildung gibt es seit 20 Jahren. Jedes Jahr schliessen nicht mehr als eine Handvoll Komponistinnen und Komponisten ab. Was aus Skals Begeisterung wurde, ist bekannt: Die gebürtige Zürcher Oberländerin überzeugt mit ihren Klangwelten Regisseurinnen in ganz Europa und darüber hinaus, genauso wie das Publikum und Jurys.
Im Jahr 2018 gewann sie den Taurus Award für die beste Musik in einem Animationsfilm («The Market of Lost Things»), im November letzten Jahres wurde sie für ihre Komposition zum SRF-«Tatort – Von Affen und Menschen» mit dem Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik ausgezeichnet und nun gewinnt Skal für ihre Musik zum Dokumentarfilm «Vracht» den Deutschen Dokumentarfilm-Musikpreis 2025. Die Preisverleihung ist am 11. Mai in München.
«Preise sind natürlich eine willkommene Anerkennung und eine schöne Bestärkung der eigenen Arbeit», sagt Skal. Doch sie erwarte sie nicht und rechne auch nie mit ihnen. Zudem: «Auch wenn es abgegriffen klingt: Der Film steht im Zentrum. Ich bin eine Dienstleisterin und trage einfach meinen Teil zum Gesamtergebnis bei.»
Die freischaffende Komponistin, die in zwei Bands spielt, komponiert Musik sowohl für Filme als auch für Werbespots und Dokumentationen. Ihr Herz gehört dem Kinofilm. «Ich gehe enorm gerne und auch häufig ins Kino», sagt Skal. Dabei fällt es ihr «natürlich auf, wenn auf der musikalischen Ebene etwas unstimmig ist», sagt sie. «Doch ich kann ganz gut auch unbefangen in ein Werk eintauchen; schauen und hören.»
Gute Musik könne einen schlechten Film übrigens nicht retten, sagt sie. «Die Musik ist der letzte Schritt. Wenn beim Schauspiel, beim Setting oder beim Drehbuch bereits etwas schiefgelaufen ist, ist die Musik kein Allerheilmittel.»
Mirjam Skal ist Komponistin mit starker Bodenhaftung
Die heimische Filmindustrie nimmt Skal als überschaubar und familiär wahr. Die Gruppe der Komponierenden ist noch einmal kleiner. «Der Austausch ist mir wichtig, denn unser Beruf ist doch ziemlich einsam», sagt sie. Von Konkurrenz spürt sie nichts. Vielmehr erzählt sie von gegenseitiger Unterstützung und der Möglichkeit, voneinander zu lernen und einander zu helfen.
Zusammenstehen ist ihr auch deshalb ein Anliegen, weil «der Markt wohl kühler und härter werden wird». Skal spricht die Volksinitiative «200 Franken sind genug!» an oder die Künstliche Intelligenz, deren Einfluss und Auswirkungen noch völlig offen seien.
Trotz ihrer Liebe zu mitunter sphärischen Klängen ist Mirjam Skal eine Komponistin mit starker Bodenhaftung. Sie sieht ihren Beruf mehr als Handwerk denn als etwas Abgehobenes. Skal gibt sich erfrischend unprätentiös und pragmatisch. Es kommen bei ihr deshalb immer mal wieder auch ihre eigenen Küchengeräte zum Einsatz, um Klänge und Stimmungen zu erzeugen. Trotzdem ist ihre Musik vielschichtig, intuitiv, persönlich. «Meine Kompositionen sind Momentaufnahmen meines Ichs», sagt sie. Das mag ein Grund dafür sein, dass ihre Arbeit die Zuhörenden berührt und über den Kinobesuch hinaus beschäftigt.
Skals Klangwelten haben eine unverkennbare Handschrift, aber: «Ich mag es, wenn ich herausgefordert werde, wenn ich bei Projekten dabei bin, die etwas verlangen, das ich noch nie getan habe.» Als Komponistin interessieren sie Werke, in denen sich menschliche Abgründe auftun, die Sicht von Aussenseiterinnen und Aussenseitern beleuchtet werden sowie grundsätzlich neue, bisher noch nicht erzählte Geschichten. «Und: Ich würde auch gerne mal einen historischen Film vertonen», sagt Skal.
Mirjam Skal ist Synästhetikerin – will heissen: sie vereint mehrere Sinneseindrücke zu einem; Tönen ordnet sie Farben zu, und sie sieht in Musik Bilder und Geschichten. «Lange habe ich nicht gewusst, dass das nicht alle haben», sagt Skal. Für sie ist diese besondere Begabung ein Geschenk und eine Inspirationsquelle.
«Musik ist immer ein grosser Teil meines Lebens gewesen», sagt sie. Klavier spielt sie, seit sie vier Jahre alt ist. Als 13-jährige Gymnasiastin entdeckt sie in der Schulbibliothek «Alien» (1979) und damit die experimentelle und für diese Zeit visionäre Filmmusik von Jerry Goldsmith, der 2004 verstorben ist.
Derzeit baut Skal mit ihrem Berufskollegen Jakob Eisenbach ein gemeinsames Tonstudio im Kreis 5 in Zürich auf. «Das bedeutet viel Arbeit mit den Händen», so Skal. Sie mag das als Ausgleich zum kopflastigen Alltag, den sie oft sitzend verbringt. «Körperliche Arbeit erdet mich.»*
*Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.