Medien-Prof: Setzt der Bundesrat die Medien-Millionen sinnvoll ein?

Mit über 100 Millionen Franken will der Bundesrat die strauchelnde Medienlandschaft unterstützen. Der Medienexperte hat den Entwurf kritisch angeschaut.

Die Mediennutzung verschiebt sich, aber auch die Werbebudgets. Das stellt die Medienhäuser vor schwierige Aufgaben. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Mediennutzung verschiebt sich auch in der Schweiz von Print zu Online.
  • Der Medienexperte sieht unter diesen Voraussetzungen die Medienförderung kritisch.
  • Der Bundesrat hat jüngst einen Entwurf ausgearbeitet, um die Medienvielfalt zu stützen.

Simonetta Sommaruga hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, wie der Bund den Schweizer Medien unter die Arme greifen soll. Unabhängig von der Coronakrise, dafür gibt es eine separate Unterstützung von fast 60 Millionen Franken. Sommarugas grundlegendes Medienförderungs-Päckli sorgt allerdings für Diskussionen.

Manuel Puppis ist Professor für Mediensysteme und Medienstrukturen am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Fribourg. Er ist Experte für Medienpolitik.

Manuel Puppis forscht und lehrt an der Universität Fribourg. - Keystone/PD

Nau.ch: Herr Puppis, wie informieren sich Schweizerinnen und Schweizer im Jahr 2030 nach Ihrer Einschätzung?

Prof. Manuel Puppis: Die Mediennutzung verändert sich durch soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Streamingdienste ganz grundlegend. Zwar werden Medieninhalte immer noch stark auf den klassischen Kanälen Radio, TV, Zeitungen sowie Websites und Apps von Medien genutzt.

Doch immer mehr Menschen sind auf Facebook, Twitter, YouTube oder TikTok unterwegs, auch um sich über das aktuelle Geschehen zu informieren. Bei den Jüngeren ist das natürlich etwas ausgeprägter.

Nau.ch: Junge Menschen sagen oft, dass sie sich auf Social Media informieren und den (Print-)Journalismus gar nicht mehr brauchen würden. Was ist da dran?

Prof. Manuel Puppis: Es ist völlig richtig, dass wir Social Media nicht nur für Kommunikation in unserem Freundeskreis einsetzen, sondern dort auch viele interessante Artikel lesen können. Und solche Onlineplattformen sind nicht nur für unsere Information, sondern auch für den Austausch mit anderen über gesellschaftlich relevante Themen oder die Organisation von politischer Beteiligung – beispielsweise die Klimajugend – sehr nützlich. Das ist toll.

Gebäude der Universität Fribourg. - Keystone

Gleichzeitig dürfen wir aber ein paar Dinge nicht vergessen. Erstens wurden viele Artikel, die auf Social Media geteilt werden, von Journalistinnen und Journalisten für eine Zeitung, ein Onlinemedium wie Nau.ch oder den Service Public der SRG produziert. Es ist also nicht so, dass wir nur, weil wir auf Social Media sind, plötzlich auf die wichtige Leistung des Journalismus für die Demokratie verzichten würden.

Zweitens sind auf Social Media unabhängiger Journalismus, Werbung und Propaganda nicht immer einfach auseinanderzuhalten. Wir können also nicht allen Inhalten gleichermassen vertrauen. Und Umfragen zeigen auch, dass die Nutzerinnen und Nutzer ein höheres Vertrauen in den Journalismus haben als in Social Media.

Mit dem Massnahmenpaket will der Bundesrat die Rahmenbedingungen für die Medien verbessern, die Medienvielfalt stärken und die digitale Transformation der Branche unterstützen. - Keystone

Und drittens haben Plattformen wie Facebook oder YouTube ein kommerzielles Eigeninteresse. Die Inhalte, die sie uns anzeigen, sollen uns möglichst lange auf der Plattform halten – ob sie auch relevant sind, ist eine ganz andere Frage.

Kurz: Auch wenn wir keine Papierzeitung mehr lesen oder klassisches Fernsehen schauen – unabhängigen Journalismus, der uns informiert, Ereignisse einordnet und den Mächtigen auf die Finger schaut, brauchen wir trotzdem.

Nau.ch: Warum soll die Politik bzw. der Bund den Journalismus überhaupt unterstützen?

Prof. Manuel Puppis: Ob offline oder online: Journalismus ist zentral für die Demokratie und leistet einen wichtigen Beitrag zur Information der Bevölkerung und zur Kontrolle von Regierung und Unternehmen. Gerade während der Coronapandemie sehen wir sehr deutlich, wie hoch unser Informationsbedürfnis ist und wie stark die Nutzung von Medien in dieser Zeit zugenommen hat.

Die Werbe-Einnahmen der Zeitungen gehen seit Jahren zurück. - Stiftung Werbestatistik Schweiz / Berechnungen Manuel Puppis

Doch trotz hoher Nutzungszahlen: Die Medienbranche ist in einer Finanzierungskrise. Die meisten Zeitungen haben sich traditionell über Werbung und Abos finanziert. Doch heute fliesst die Werbung immer mehr zu Google, Facebook und Kleinanzeigenportalen. Dieses Geld fehlt im Journalismus. Die Einnahmen gehen also rasant runter, Journalismus ist trotzdem von zentraler Bedeutung. Deshalb wird darüber nachgedacht, Medien mit Steuergeldern zu unterstützen.

Nau.ch: Die Mediennutzung verschiebt sich von den klassischen Massenmedien weiter deutlich Richtung Internet(-plattformen).

Vor diesem Hintergrund: Wie sinnvoll ist es, die Printzeitungen durch die Versandssubventionierung zu unterstützen?

Prof. Manuel Puppis: Was der Bundesrat vorgeschlagen hat, ist eine Paketlösung. Politisch gesehen ist wohl nur ein solches Paket mehrheitsfähig. Ob es am Schluss im Parlament eine Mehrheit findet, wird sich erst weisen.

Ich kann nachvollziehen, dass für die Zeitungsbranche die Verbilligung des Posttransports ein wichtiges Anliegen ist. Bis heute verdienen die meisten Zeitungen ihr Geld mit dem Printprodukt, nicht mit ihrer Onlineausgabe.

Aber die sogenannte Posttaxenverbilligung ist natürlich keine nachhaltige Lösung für die Medienkrise und hilft nicht dabei, die Digitalisierung zu meistern. Hierfür ist die vorgeschlagene Unterstützung für Onlinejournalismus sicher besser geeignet. Insofern halte ich die vorgeschlagenen Massnahmen für einen wichtigen Schritt.

Nau.ch: Watson – wie Nau.ch bisher rein werbefinanziert* – bittet seine Leser um einen Unterstützungsbeitrag, seit bekannt ist, dass nur publikumsfinanzierte Onlinemedien unterstützt werden.

Watson ist neu publikumsfinanziert. - Screenshot Watson.ch

Für wie aussichtsreich halten Sie das Ziel des Bundesrates, die Leser zum Bezahlen von Journalismus zu «erziehen»?

Prof. Manuel Puppis: Der Bundesrat schlägt vor, dass Onlinemedien, die Publikumseinnahmen erzielen, Fördergelder erhalten können. Das lässt sich wohl damit erklären, dass man es im Printbereich auch schon so gemacht hat. Und dass man Medien unterstützen möchte, die sich um Einnahmen ihrer Leser bemühen.

Zudem geht man wohl davon aus, dass nationale Gratisanbieter wie Blick.ch, 20min.ch, Watson.ch oder Nau.ch auch mit Werbung überleben können. Bei kleineren Regional- und Lokalangeboten ist das aber nicht unbedingt der Fall.

Immerhin müssen es keine klassischen Aboeinnahmen sein, sondern auch Spenden, Mitgliederbeiträge oder Community-Modelle wären möglich. Dies schliesst also innovative journalistische Start-ups mit neuen Ideen nicht aus.

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Hinweis: Nau.ch finanziert sich über Werbung, einerseits auf der Webseite, andererseits auf den Informationsscreens in ÖV, Tankstellen, Fitnesszentren und Bahnhöfen. Weil dieses Finanzierungsmodell funktioniert, sind alle Artikel bei Nau.ch deshalb frei zugänglich. Das 2017 gegründete Online-Medium ist seit Sommer 2019 selbsttragend.