Niedergang einer Volkspartei: Tories streiten über Zukunft

Sie gelten als eine der erfolgreichsten Parteien der Welt. Aber nach ihrem Wahldebakel ist die Zukunft der britischen Konservativen offen

Der bisherige Premier Sunak räumt seine Niederlage ein. Darren Staples/PA Wire/dpa - dpa

Für die Konservative Partei in Grossbritannien geht es nach der historischen Wahlniederlage ums Überleben. Offen tritt der Richtungsstreit zutage, der die Tories bereits seit Längerem schwächt. Doch wieder mehr in die politische Mitte rücken und dem jüngsten Rechtskurs abschwören? Oder doch noch weiter nach rechts rücken und versuchen, den Populisten und Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage einzufangen? Schon laufen sich mögliche Kandidaten warm. Der bisherige Parteichef Rishi Sunak macht den Weg frei und tritt zurück.

Ende einer erfolgreichen Volkspartei?

Allerdings: Die Auswahl ist nach dem Wahldebakel nicht gerade gross. Gut ein Dutzend Kabinettsmitglieder hat seine Sitze verloren. Die Partei, die britische und europäische Geschichte geschrieben und lange Englands Schicksal geprägt hat, mit etlichen Wahlsiegen eine der erfolgreichsten Parteien der westlichen Geschichte, zerfällt vor aller Augen. Fast wirkt es wie der Abschied von einer Volkspartei – ob und wie sie wiederkommt, scheint fraglich.

Als neuer Anführer der Tories kommen theoretisch nur 121 Personen infrage. So wenige Konservative wie nie sitzen im neuen Parlament. Die Tory-blauen Flecken muss man auf der Landkarte schon genau suchen. Und wird an manchen Stellen gar nicht mehr fündig: In Wales konnten die Konservativen keinen einzigen Wahlkreis gewinnen.

Mehrere Kandidaten im Gespräch

Im Gespräch sind unter anderem Ex-Innenminister James Cleverly, ein Moderater, und Ex-Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch vom rechten Flügel.

Mark Garnett ist sicher, dass die Abstimmung das Ende der Konservativen Partei bedeutet, wie man sie kennt. «Was von der Partei übrig ist, kann unmöglich vereint bleiben», sagt der Politologe von der Universität Lancaster im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Eine zentrale Rolle spielt einer, der gar kein Tory-Mitglied ist: Nigel Farage. Im achten Versuch zieht «Mr Brexit» erstmals im Parlament ein. Der Rechtspopulist, massgeblicher Antreiber des Brexits und nach eigenen Angaben Freund von Ex-US-Präsident Donald Trump, hat den Konservativen mit seiner Partei Reform UK – eigentlich ein eingetragenes Unternehmen, an dem Farage eine Mehrheit hält – etliche Stimmen am rechten Rand abgejagt.

Die frühere Innenministerin Suella Braverman, eine ausgewiesene Hardlinerin und mögliche Sunak-Nachfolgerin, wirbt kaum versteckt für eine Aufnahme von Farage in die Tory-Partei. Doch das will der 60-Jährige gar nicht. Sein offen erklärter Anspruch: Die Tories überflüssig machen und eine konservative Bewegung anführen. Letzteres findet in Teilen der Konservativen Partei ebenso Anklang wie Farages harter Kurs gegen Migration.

Moderater Flügel will zurück in die Mitte

Der moderate Flügel – ähnlich gross, aber deutlich leiser – propagiert einen ganz anderen Kurs. Der bisherige Finanzminister Jeremy Hunt etwa betont schon seit Wochen, Wahlen würden in der Mitte gewonnen. Diese Mitte aber hatten die Tories bereits unter Ex-Premierminister Boris Johnson stückweise aufgegeben, Sunak rückte die Partei noch weiter nach rechts. Etwa mit dem umstrittenen Vorhaben, irreguläre Migranten ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben.

Die Tories können nur verlieren, glaubt Experte Garnett. «Wenn sie einen gemässigten neuen Anführer wählen, werden die Rechtskonservativen zu Reform UK überlaufen. Wenn sie einen rechtsgerichteten Populisten wählen, werden die Gemässigten entweder zu den Liberaldemokraten oder zu Labour wechseln, deren neu gewählter Premierminister eine gemässigte, einigende Figur ist.»

Eine Fortsetzung des Rechtskurses dürfte zudem Populisten wie Boris Johnson wieder anlocken. Der Ex-Premier war bei der Wahl nicht angetreten. Kommentatoren vermuten, der Blondschopf mit der politischen Spürnase wolle nicht mit dem sich seit langem abzeichnenden Debakel in Verbindung gebracht werden.

Jetzt liegt die Partei am Boden, Johnson könnte als eine Art Retter sich zur Verfügung stellen. Seine Kolumne in der konservativen Boulevardzeitung «Daily Mail» nutzt er, um sich ins Gespräch zu bringen.