Ukraine: Die Gefahr von Menschenhandel wächst
Hunderttausende Frauen und Kinder fliehen derzeit aus der Ukraine. Sie sind erschöpft und traumatisiert. Das kann von Menschenhändlern ausgenutzt werden.
Das Wichtigste in Kürze
- 4.5 Millionen Menschen sind bereits vor dem Krieg in die umliegenden Länder geflohen.
- Hilfsorganisationen warnen: Menschenhandel ist eine Gefahr für geflüchtete Menschen.
- Menschenhändler locken geflüchtete Menschen mit Jobs und Unterkünften.
- Spezielle Schutzzonen können helfen, dubiose Angebote nicht überstürzt anzunehmen.
4.5 Millionen Menschen sind laut der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) bereits vor dem Krieg in die umliegenden Länder geflohen, hauptsächlich Frauen und Kinder. In den Aufnahmeländern finden sie Schutz vor den Bombardements und Kriegshandlungen – was aber noch nicht automatisch bedeutet, dass sie in Sicherheit sind.
Die ankommenden Frauen und Kinder sind erschöpft, nachdem sie teils mehrere Tage unterwegs waren, um die Grenze zu erreichen. Viele verstehen die Sprache schlecht oder gar nicht, oft haben sie weder Familie noch Freunde im Aufnahmeland.
Die Brutalität des Krieges hat traumatische Spuren hinterlassen, sie sind verängstigt. «Doch sie haben nicht nur Angst um sich selbst – viele haben Angst um ihre Kinder, um die Eltern oder die Ehepartner, die sie zu Hause gelassen haben», sagt Mihaela Nabăr, Nationale Direktorin des internationalen Hilfswerks World Vision in Rumänien.
Viele sind besorgt, wie sie zukünftig sich oder ihre Familie ernähren sollen. Diese Situation kann dazu führen, dass sie ein Angebot von jemandem annehmen, der irgendwo mit einem Schild steht und freie Übernachtungen oder eine Aussicht auf Arbeit anbietet. Hilfsorganisationen wie World Vision warnen davor, dass gerade Menschenhändler mit ähnlichen Angeboten auf den Strassen auf die Schutzsuchenden warten könnten.
Erhöhtes Risiko von Menschenhandel
Der Europarat warnt, dass ein erhöhtes Risiko von Menschenhandel rund um den Ukraine-Krieg herrscht. Hilfsorganisationen sowie zuständige Behörden sorgen sich, wie man besonders schutzbedürftige Menschen auf der Flucht, vor Menschenhandel oder anderen Formen von Missbrauch schützen kann.
Sie befänden sich in einer Lage, «nach der Leute wie Menschenhändler Ausschau halten, um sie auszunutzen», sagt Joung-ah Ghedini-Williams, Chefin für globale Kommunikation beim UNHCR.
Bereits vor dem Krieg war die Ukraine ein Herkunftsland für Opfer von Menschenhandel. Über 260'000 Ukrainerinnen und Ukrainer wurden in den vergangenen 30 Jahren nach Schätzungen der Vereinten Nationen Opfer von Menschenhandel. Das Phänomen gibt es also schon lange, mit den entsprechenden Strukturen, die das möglich machen.
«Vertreibung, plötzliches Abrutschen in extreme Armut, Verwitwung, Verlust oder Trennung von Familienmitgliedern und viele andere Merkmale dieses Konflikts führen dazu, dass stündlich unzählige weitere Frauen gefährdet sind», warnt Eleanor Monbiot, Leiterin des World Vision-Regionalbüros für den Nahen Osten und Osteuropa.
Jedes vierte Opfer von Menschenhandel ist ein Kind
Menschenhandel kann verschiedene Facetten haben – von Prostitution über Zwangsarbeit und häusliche Sklaverei bis hin zur Entfernung von Organen.
Sexuelle Ausbeutung ist in der EU die häufigste Form von Menschenhandel, fast drei Viertel der Opfer sind Frauen, und bei fast jedem vierten Opfer handelt es sich um ein Kind, hält der Europarat fest.
Das Expertengremium des Europarats für Menschenhandel (Greta) weist deshalb besonders auf das Risiko für allein fliehende Kinder hin. Es gebe Berichte, dass Menschenhändler auf unbegleitete geflüchtete Kinder abzielten, teilte das Gremium mit.
Sichere Räume schaffen
Sichere Räume in den Aufnahmeländern für Frauen und Kinder können helfen, dem Menschenhandel vorzubeugen. Das Hilfswerk World Vision bietet deshalb in speziell dafür eingerichteten Kinderschutzzonen Erholung für Kinder und erschöpfte Mütter.
Diese Orte bieten den Kindern einen Platz, an dem sie spielen und betreut werden, während ihre Mütter oder andere Bezugspersonen die nächsten Schritte planen.
Auch Anna und ihre Töchter Miroslava, 9, und Malia, 3, erholten sich in einem der orangen Zelte an der rumänischen Grenze. Während ihre Kinder spielen, kann sich die Mutter eine kurze Pause gönnen.
«Es ist schön», sagt Anna, «die Kinder weinen nicht», während sie selbst weint, weil sie sich an ihr verlorenes Zuhause erinnert.
Auch wenn die Ruhepause nur kurz ist, vermittelt sie doch einen Schimmer von Normalität. Zudem verteilt World Vision Hilfsgüter wie Nahrungsmittel und Hygieneartikel. Diese Massnahmen können helfen, dass Frauen und Kinder keine überstürzten Angebote von dubiosen Vermittlerinnen oder Vermittlern annehmen – und ihnen dadurch potenziell viel Leid und Mühen ersparen.