Wie der Krieg in der Ukraine eine globale Hungersnot auslösen könnte
Das Wichtigste in Kürze
- Durch den Krieg in der Ukraine sind die Lebensmittelpreise stark gestiegen.
- Der ukrainische Agrarminister befürchtet, dass der Preisdruck noch weiter zunehmen könnte.
- Der UN-Generalsekretär António Guterres warnt vor einer massiven Hungersnot.
Lily, eine ukrainische Landwirtin steht auf einem ihrer Weizenfelder. Der Weizen wird in den nächsten Monaten geerntet werden, aber sie hat keinen Platz, um die diesjährige Ernte zu lagern. Denn die Silos sind noch voll mit der Ernte von 2021.
Lily ist mit ihrem Problem nicht alleine. Im Moment lagern rund 40 Millionen Tonnen Weizen in der Ukraine – mit der bald beginnenden Erntezeit wird die Menge noch zunehmen. Denn die ukrainischen Häfen sind blockiert und somit auch der Export. Der Weizen kann nur umständlich über die Schwarzmeerhäfen im südöstlichen Rumänien verschifft werden.
Doch die Wege über die Grenze sind lang und kompliziert: Ukrainische und rumänische Transportsysteme sind nicht kompatibel, es fehlt an Zollpersonal und Infrastruktur – und die rumänischen Kapazitäten an den Häfen sind limitiert.
So konnte erst ein kleiner Teil des Getreides aus der Ukraine abtransportiert werden.
Lokale Weizenblockade mit globalen Auswirkungen
Auch wenn der Ukraine-Krieg weit von den meisten Hungerkrisen entfernt stattfindet, spielt er bei den aktuellen Entwicklungen der Ernährungslage eine wichtige Rolle.
Die Invasion der Ukraine durch Russland hat den ukrainischen Weizen vom Weltmarkt abgeschnitten – mit weitreichenden Folgen für viele Regionen der Welt. Besonders Länder im Norden Afrikas und im Nahen Osten, die ihren Weizen hauptsächlich über das Schwarze Meer beziehen, bekommen die Weizenblockade zu spüren.
Russland und die Ukraine sind wichtige Exporteure des Getreides. Sie produzieren rund ein Drittel des weltweit gehandelten Weizens – diese Masse ist kurzfristig schwer zu ersetzen. Die geringere Verfügbarkeit lässt die Weizenpreise in die Höhe schnellen.
Preise um 40 Prozent gestiegen
Die Situation ist paradox: Während in der Ukraine Millionen Tonnen Getreide ungenutzt lagern, ist das Nahrungsmittel für ärmere Länder unerschwinglich geworden.
Die Ernährungs-und Wirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) verzeichnet einen globalen Anstieg der Weizenpreise um 40 Prozent. Der ukrainische Agrarminister Mykoly Solskyj gibt im Interview mit dem Spiegel Anfang Juni zu bedenken, dass es wohl erst in den kommenden Monaten richtig teuer werde.
Noch hätten einige Länder Reserven – doch was, wenn diese in einigen Monaten aufgebraucht sein werden? Der Krieg wird dann noch nicht vorbei sein und der Druck auf die Ernährungssicherheit wird nochmals zunehmen, warnt Solskyi.
Auch stark steigende Kosten für Energie und Düngemittel aufgrund von Lieferstopps oder -engpässen verteuern Grundnahrungsmittel in vielen Regionen der Welt. Denn beide sind wichtige Ressourcen in der Landwirtschaft.
«Wir stehen vor einer Hungersnot ungeahnten Ausmasses», schreibt UN-Generalsekretär António Guterres im Bericht «Global Report on Food Crises» bereits Anfang Mai angesichts der Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die globale Ernährungssicherheit.
Krise auf mehreren Ebenen
Diese Krise fällt zusammen mit weiteren komplexen Herausforderungen, die die Länder im Globalen Süden nicht selbst verschuldet haben: die Covid19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen, klimatische Veränderungen und damit einhergehend ein Mangel an lebenswichtigen Ressourcen.
«Vor der jetzigen Krise starben jedes Jahr bis zu sechs Millionen Menschen an den Folgen des Hungers. Durch Russlands Invasion könnten weitere 200’000 Menschen auf der Welt verhungern. Aber die Krise geht über diese Zahlen hinaus. Sie trifft auch die Lebensqualität. Ein paar Monate Unterernährung haben negative Folgen für das ganze Leben», sagt Entwicklungsökonom David Laborde, der zum Thema internationaler Handel forscht.
Umso wichtiger ist jetzt die Arbeit von Hilfsorganisationen, die den von akutem Hunger bedrohten Menschen Lebensmittel verteilen, die sie sich nicht mehr leisten könnten.
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