Neue Ausstellung gibt Opfern sexualisierter Gewalt eine Stimme
Das Museum Tinguely zeigt «By Your Own Hand» von Suzanne Lacy. Darin lässt sie Männer sprechen und gibt weiblichen Opfern sexualisierter Gewalt so eine Stimme.
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Das Wichtigste in Kürze
- Geschlechterspezifische Gewalt ist das Thema der Videoinstallation von Suzanne Lacy.
- Das Museum Tinguely zeigt «By Your Own Hand» vom 9. April bis 7. September 2025.
Sie stehen in einem komplett abgedunkelten Raum. Von hinten dringt die Stimme eines Mannes zu Ihnen. Er liest einen Auszug aus einem Brief vor. Darin beschrieben: die Erinnerung an einen sexuellen Übergriff.
Es ist nicht seine eigene Erinnerung – sie gehört einer Frau. Nacheinander treten unterschiedliche Männer vor die Kamera und erzählen weitere Geschichten. Es sind keine schönen Geschichten, welche das Publikum hier erwarten. Es sind erschütternde Zeugnisse von Erlebnissen sexualisierter Gewalt.

Die Erzählung ist Teil der Videoinstallation «De tu puño y letra» (By Your Own Hand) (2014-2015/2019) der renommierten US-amerikanischen Künstlerin Suzanne Lacy. Das Museum Tinguely zeigt die Ausstellung vom 9. April bis 7. September 2025 in Basel. Hier finden Sie alle Informationen zur Ausstellung.
Erschütternde Erzählungen
Lacy thematisiert in ihrer Videoinstallation sexualisierte Gewalt an Frauen. Dabei lässt sie jedoch Männer zu Wort kommen. Nacheinander treten männlich gelesene Personen vor, die in sachlichem Ton Auszüge aus Briefen lesen.
Es sind erschütternde Zeugnisse brutaler geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, welche eine tiefe Beklemmung hinterlassen. Sie reichen von sexuellen Übergriffen bis hin zu Gruppenvergewaltigung und Femizid.
Die Filmaufnahmen entstanden in einer Stierkampfarena in Quito, einem männlich konnotierten Raum, der traditionell von Gewalt und Dominanz geprägt ist.
Die kreisförmige Anordnung der Projektionen versetzt das Ausstellungspublikum selbst in die Mitte der Arena. Besuchende werden so direkt mit den Worten und Blicken der Akteure konfrontiert. Die lebensgrosse Darstellung macht die körperliche und emotionale Herausforderung ihres Auftrittes spürbar.

Die bewusste Entscheidung, männlich gelesene Personen die Zeugnisse weiblich gelesener Gewaltopfer vortragen zu lassen, unterstreicht die Rolle des Patriarchats als strukturelle Grundlage der dargestellten Gewalt.
Zugleich wird die Diskrepanz zwischen den männlichen Stimmen und den weiblichen Erfahrungen zu einem zentralen Element, das zum Nachdenken anregt und eine Reflexion über Geschlecht, Macht und Glaubwürdigkeit ermöglicht.
Politische Relevanz – auch in der Schweiz
Obwohl die Aufnahmen aus Quito, Ecuador stammen, hat das Thema auch hierzulande Relevanz. Denn: In der Schweiz wird im Schnitt alle zwei Wochen eine Frau durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn getötet.
Die Ausstellung im Museum Tinguely betont also die globale und aktuelle Relevanz des Themas. Ein besonderer Akzent wird durch die räumliche Nachbarschaft der Videoinstallation mit Jean Tinguelys Werk Mengele-Totentanz (1986) gesetzt. Darin thematisiert Tinguely Gewalt und Tod aus einer historischen und persönlichen Perspektive.

Häusliche und sexualisierte Gewalt sind alltäglich und weit verbreitet. Auch Niki de Saint Phalle (1930–2002), die zweite Ehefrau und Sammlungsstifterin des Museums, war davon betroffen.
1994 berichtete sie in ihrem Buch «Mon secret» vom eigenen Missbrauch durch ihren Vater im Alter von 11 Jahren. In ihren Werken klagte sie patriarchale Strukturen an und machte die Rolle von Gewalt und Machtmissbrauch sichtbar.
Eine Pionierin der feministischen Performancekunst
Lacy gilt seit den 1970er Jahren als eine Pionierin der feministischen und aktivistischen Performancekunst. Sie verbindet in ihrem Schaffen Kunst mit sozialem Engagement.
Ihre Werke der «Social Practice» entstehen häufig in Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften und rücken gesellschaftliche Missstände wie häusliche Gewalt, Altersdiskriminierung und Migration in den Fokus. «De tu puño y letra» gilt als eines der bedeutendsten Werke der US-amerikanischen Künstlerin.

Mit der Ausstellung «Suzanne Lacy: By Your Own Hand» würdigt das Museum Tinguely ein hochrelevantes Werk einer der bedeutendsten feministischen Künstlerinnen unserer Zeit und schafft zugleich auch einen Raum für Reflexion, Dialog und gesellschaftliche Verantwortung.
Das Museum Tinguely zeigt die Ausstellung «De tu puño y letra» vom 9. April bis 7. September 2025. Eine Installation, die bewegt und zum Denken anregt – interessant und politisch relevant.