Coronavirus: BAG und Ärzte wollen Kids nicht testen
Lange hiess es, Kinder seien keine Treiber des Coronavirus. Die Forschung ist sich aber uneinig. Trotzdem werden Kinder kaum getestet. Zum Ärger der Eltern.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Schweiz haben sich rund 350 Kinder unter 9 Jahren mit dem Coronavirus infiziert.
- Welche Rolle Kinder in der Pandemie spielen ist noch nicht vollständig geklärt.
- Nun beklagen sich Eltern: Kinder unter 12 Jahren werden von Ärzten kaum getestet.
«Kinder sind keine Treiber der Pandemie» – diesen Satz aus dem Mund von Mr. Corona Daniel Koch liess Eltern lange Zeit aufatmen. Je breiter sich das Coronavirus streute, desto heftiger wurde jedoch über die «Enkel-Frage» debattiert.
Bis heute ist die Frage nach der Ansteckungsgefahr von Kindern nicht vollständig geklärt. Epidemiologen wie Andreas Cerny sagen aber: Kinder spielen für eine zweite Welle gewiss eine grosse Rolle. So infizieren sich derzeit überwiegend Menschen unter 30 Jahren mit dem Coronavirus. Die Wissenschaft pocht stets darauf, so viel zu testen wie nur möglich.
Ein Fall aus dem Kanton Solothurn zeigt nun: Ärzte sehen sich kaum verpflichtet, Kinder zu testen.
Mutter: «Ich fühlte mich absolut nicht ernst genommen»
Die zweifache Mutter Sandra Boner ist enttäuscht und wütend. Vor einigen Tagen klagt ihr Sohn Alexey über starke Halsschmerzen, kann vor lauter Schmerzen kaum schlafen. Der Fünfjährige hat leichten Husten und erhöhte Temperatur.
Die Eltern wollen Alexey in den ersten Kindergarten schicken, in welchem sich die Eltern über ungenügenden Abstand sorgen. Doch dazu kommt es nicht. Sandra Boner arbeitet in der Gastronomie. Sie hat somit viel Kontakt zu Menschen, welche durch eine Ansteckung ihres Sohnes gefährdet würden.
Da ihr Sohn typische Symptome zeigt, entscheidet sie sich, ihn auf das Coronavirus testen zu lassen. Dann die grosse Enttäuschung: Der Kinderarzt will Alexey nicht testen. Stattdessen betrachtet er Alexeys Rachen und diagnostiziert eine Sommergrippe.
«Ich fühlte mich absolut nicht ernst genommen vom Arzt, seine Diagnose machte mich sprachlos», klagt Boner im Gespräch mit Nau.ch. Zudem hätte er nicht mal eine Maske getragen.
Doch die Mutter gibt nicht auf und fährt zum Bürgerspital Solothurn, welches ein Testcenter führt. Auch dort lehnt man Alexey ab. «Mein Sohn war traurig und hat es nicht verstanden.»
Erst bei der dritten Anlaufstelle in einer Gruppenpraxis wird Alexey – nach längerem Hin und Her – mittels Nasen-Abstrich getestet. Doch der Ärger bleibt. Die Eltern lassen auf Twitter Dampf ab und erhalten ganz unterschiedliche Rückmeldungen.
Die User berichten, in anderen Kantonen sei es einfacher gewesen, die Kinder auf das Coronavirus zu testen. Doch das Hindernis ist nicht etwa der Kanton Solothurn, sondern das BAG.
Solothurner Arzt: Noch kein positiver Test des Coronavirus bei unter 10-Jährigen
Das Bundesamt für Gesundheit hat anfangs Juli die Teststrategie für Kinder unter 12 Jahren angepasst. Genauer gesagt gelockert. Kinder bis 12 Jahre mit leichten Symptomen müssen nicht in jedem Fall getestet werden. Zu diesen zählt das BAG etwa akutes Nasen-Laufen, Rachenentzüngung oder Atemwegssymptome.
Vielmehr pocht es auf die Isolation. Das BAG rät nicht vom Testen ab, es überlässt den Ärzten jedoch grossen Spielraum. Doch warum weigert sich ein Arzt das Kind zu testen, wenn die Eltern darauf bestehen?
Im Falle von Alexey Boner nimmt auf Anfrage der Solothurner Arzt Michel Gubser Stellung. «Der abgetretene Herr Koch vom BAG hat schon früh kommuniziert, dass Kinder kaum an Covid-19 erkranken. Da sie noch nicht die entsprechenden Rezeptoren haben.»
Gubser beruft sich auf die Teststrategie des BAG. «Beim besagten Patienten bestanden klinische Symptome einer beginnenden Sommergrippe, bei asymptomatischen Eltern.»
Darum habe er der Kindsmutter empfohlen, das Kind zu Hause zu behalten, solange bis es 24 Stunden asymptomatisch ist. Zudem betont der Kinderarzt, «dass ich seit dem Lockdown über 400 Kinder unter 10-jährig getestet habe. Alle waren Covid-19 negativ!»
Den fünfjährigen Alexey getestet hat Paul W. Meier, Kinderarzt in einer Gruppenpraxis in Solothurn. Auch er betont, die Teststrategie richte sich nicht nach den Bedürfnissen der Eltern, sondern nach den Empfehlungen des BAG.
«Diese ist für Kinder unter 12 Jahren jedoch viel zurückhaltender und es gibt Spielraum. Unter dem Strich muss jeder Fall individuell entschieden werden.»
Der Berufsverband Kinderärzte Schweiz bläst ins selbe Rohr: Es bleibe letztendlich eine ärztliche Entscheidung im Gespräch mit Eltern. Wichtig sei, dass die meisten Übertragungen von Erwachsenen auf Kinder stattfinde, nicht umgekehrt. «Das heisst Erwachsene mit Symptomen sollen grosszügig getestet werden.»