Coronavirus: Die grosse Verwirrung um die Enkel-Frage
Forscher beschäftigen sich weltweit mit der Frage, ob und wie Kinder das Coronavirus verbreiten. Eine klare Antwort haben sie noch immer nicht gefunden.
Das Wichtigste in Kürze
- Laut Daniel Koch ist das Ansteckungsrisiko beim Kontakt mit Kleinkindern vernachlässigbar.
- Verschiedene Studien kommen bei dieser Frage zu widersprüchlichen Ergebnissen.
- Für Epidemiologe Marcel Salathé ist vor allem die Dauer des Kontakts entscheidend.
Grosseltern dürfen ihre Enkel wieder umarmen – hüten sollen sie die Kleinen jedoch weiterhin nicht. So lautet die Aussage von Daniel Koch, die derzeit bei vielen Menschen in der Schweiz für Verwirrung sorgt. Koch ist Beauftragter für Covid19 beim Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Wie hoch die Ansteckungsgefahr für und von Kindern ist, ist wissenschaftlich aber noch immer nicht zweifelsfrei geklärt. Denn: Nicht alle Studien kommen zur gleichen Schlussfolgerung.
Dauer des Kontakts entscheidend
Laut Koch liegt das Hauptrisiko für eine Übertragung des Coronavirus bei der Übergabe der Kinder. Dabei könnten sich Eltern und Grosseltern zu nahe kommen. Vor allem dann, wenn dies regelmässig geschehe, weil dann die Distanz mit jedem Treffen weiter abnehme. Nach ein paar Mal sitze man wieder zusammen am Tisch und trinke Kaffee.
Marcel Salathé, Epidemiologie-Professor an der ETH, wies gestern in der SRF-Sendung «10vor10» auf einen anderen Faktor hin. Warum das Risiko beim Hüten grösser sei, erklärt Salathé mit der Dauer des Kontakts. «Je länger man in Kontakt ist, desto gefährlicher kann es werden.»
Salathé gibt in diesem Sinne Daniel Koch Rückendeckung. «Kürzere Kontakte kann man unterstützen, längere Kontakte sicher nicht.» Salathé räumte ein, die Wissenschaft wisse es zwar noch nicht genau. Man gehe derzeit davon aus, dass Kinder keine grossen Überträger des Coronavirus seien.
Widersprüchliche Studienergebnisse
Die bisherigen Erkenntnisse aus bereits durchgeführten Studien zum Coronavirus sind widersprüchlich. Bei einer Studie mit fast 1300 Probanden aus China war der Anteil der infizierten Kinder gleich gross wie bei Erwachsenen. Doch bei Kindern sei die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung bei einer Infektion geringer. Ein schwerer Verlauf gar sehr unwahrscheinlich.
Eine weniger breit ausgelegte, ebenfalls chinesische Studie mit 392 Testpersonen kam zum Schluss, dass sich Kinder weniger oft infizierten. Die Rate einer Ansteckung mit dem Coronavirus lag bei vier Prozent, bei den Erwachsenen hingegen bei 17 Prozent.
Hospitalisierte Kinder in Deutschland meist unter fünf Jahre alt
Dass Kinder sich definitiv mit dem Virus anstecken können, zeigt ein Blick in deutsche Krankenhäuser. Zwischen Mitte März und Ende April lagen mindestens 133 Kinder mit Covid-19 im Spital. Etwa zehn Prozent davon befand sich auf der Intensivstation, der Grossteil der hospitalisierten Kinder war unter fünf Jahre alt. Das zeigen Daten der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie.
Klarheit soll nun eine Studie aus Deutschland schaffen. Das Bundesland Baden-Württemberg hat laut dem «Spiegel» bei den Uni-Kliniken eine Studie in Auftrag gegeben. Dabei sollen 2000 Eltern mit deren Kindern auf eine Infektion und Antikörper getestet werden. Damit sollen die Forscher herausfinden, ob sich Kinder tatsächlich weniger leicht als Erwachsene infizieren.
Verbreiten Kinder das Coronavirus?
Kleinkinder gelten als gute Virenverbreiter – wie alle Eltern von Kita-Kindern nur allzu gut wissen. Kinder brauchen viel Körperkontakt, niesen, husten und sabbern alles und alle an. Ist ein Kind in der Kita krank, erkranken bald auch die Anderen und mit ihnen Eltern und Geschwister.
Daniel Koch betonte in den letzten Wochen mehrmals, dass Kinder mit grosser Sicherheit nicht die Treiber der Pandemie seien. Das deutsche Robert Koch-Institut (RKI) geht bei der aktuellen Datenlage hingegen davon aus, dass dies nicht ausgeschlossen werden könne.
Das RKI vertritt deshalb beim Umgang mit Kindern auch eine andere Meinung als das BAG: Kinder, die keinen Abstand halten können, sollten zu Hause bleibe.