Coronavirus: Virologin warnt vor Verharmlosung der Kinder-Rolle
Das Wichtigste in Kürze
- Die Rolle der Kinder in der Corona-Pandemie ist noch immer nicht vollständig geklärt.
- Trotzdem wollen Ärzte und das BAG Kinder unter 12 nicht testen.
- Virologin Isabella Eckerle kritisiert, das BAG unterschätze die Gefahr.
«Es ist wichtig, dass möglichst alle Ansteckungen mit dem neuen Coronavirus erkannt werden.» So steht es schwarz auf weiss auf der Webseite des BAG. Heisst: Wer Symptome aufweist, lässt sich schnellstmöglich testen.
Nur nicht Kinder. Bei diesen winken Ärzte ab, wie empörte Eltern bei Nau.ch berichten. Der Grund: Das BAG schreibt in der Teststrategie vor, Kinder unter 12 Jahren müsse man nicht testen.
Dies stösst Wissenschaftlern sauer auf. Denn die Rolle der Kinder in der Pandemie ist noch immer nicht genügend geklärt, sind sie sich einig. Eine, die Licht ins Dunkle bringen möchte, ist Isabella Eckerle. Die Leiterin des Zentrums für Viruserkrankungen in Genf stört sich über die Verharmlosung der Thematik.
BAG hinkt bei aktueller Forschung hinterher
Dass das BAG den Ärzten nicht rät, Kinder unter 12 zu testen, sei «keine gute Strategie». Denn: «Damit sind wir absolut blind, was mit Kindern in diesem Alter passiert.» Das BAG geht davon aus, dass Kinder kaum infiziert werden und das Virus nicht übertragen.
«Diese Annahme rührt aus Erkenntnissen zu Beginn der Pandemie her. Sie war auf symptomatische Patienten ausgerichtet.» Damit seien Erwachsene zwar mittlerweile gut erfasst, aber nicht Kinder, da diese oft asymptomatische Erkrankungen aufweisen.
«Auch werden hier Studien aus Zeiten des Lockdowns, insbesondere als Kontakte stark reduziert waren, berücksichtigt. Damit lassen sich kaum Prognosen für den Herbst ableiten.»
Es brauche dringend eine Datenaufarbeitung und damit eine Anpassung der Teststrategie. Dass das BAG das Testen der Kinder den Ärzten und Eltern überlässt, darüber schüttelt Eckerle nur den Kopf.
«Natürlich wünschen wir uns, dass Kinder keine Rolle spielen. Aber immer mehr Daten aus verschiedenen Ländern zeigen, das dem nicht so ist.» Gerade in den USA gibt es viele mit dem Coronavirus infizierte Kinder, «einen kleinen Prozentsatz mit schweren Verläufen». «Wir brauchen Daten, um für den Winter planen zu können!»
Eckerles Befürchtung: «Wenn wir dem Ganzen keine Aufmerksamkeit schenken, werden wir schon bald Fälle in Schulen haben. Die Folge: Schulen werden wieder dicht gemacht, und das will keiner.» Es brauche somit auch schnellstmöglich eine Strategie, damit die Schweiz bei ersten Infektionen in Klassen reagieren könne.
Testen bald Eltern ihre Kinder Zuhause aus das Coronavirus?
Eckerle selbst hat sich jüngst in einer Studie mit der Infektiösität von Kindern befasst. 23 symptomatische Kinder in der Kinderklinik Genf wurden untersucht. Für eine breite Auseinandersetzung würden die Daten bisher zwar nicht ausreichen.
Doch: «Bei der Hälfte der Kinder fanden wir das infektiöse Virus im Rachenabstrich. Und dies ist das Kriterium für die weitere Ansteckung des Coronavirus.» Biologisch würden Kleinkinder also alle Kriterien erfüllen, um das Virus weiterzugeben.
«Ob sie dies tatsächlich tun, dafür brauchen wir weitere Daten und damit Studien.»
Damit die Forschung weitere Erkenntnisse gewinnen kann, müssen dementsprechend viele Kinder getestet werden. «So unangenehm der Nasen-Rachen-Abstrich für Kinder sein mag.» Doch Eckerle stellt alternative Testmethoden in Aussicht.
«In der Pipeline sind etwa Speicheltests oder Schnelltests. Diese könnten Eltern vielleicht schon in wenigen Monaten selber Zuhause bei den Kindern durchführen.»