Der Bergführer wurde in erster Instanz vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Angehörige zogen das Urteil an die nächsthöhere Instanz.
Gefängnis
Das Innere eines Gefängnisses. (Symbolbild) - Keystone

Das bernische Obergericht befasst sich seit Dienstag mit einem tragischen Bergunfall, bei dem ein 13-jähriges Mädchen zu Tode stürzte. Der Bergführer wurde in erster Instanz vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Angehörige zogen das Urteil an die nächsthöhere Instanz.

Diese muss nun beurteilen, ob der Bergführer gegen seine Sorgfaltspflichten verstossen hat und ein zu grosses Risiko einging. Ihm wird fahrlässige Tötung zur Last gelegt.

Der Bergführer sei seiner Schuld angemessen zu verurteilen, forderten die beiden Anwälte, die Familienangehörige der 13-Jährigen vertraten. Zudem forderten sie Schadenersatz und Genugtuungen von mehreren zehntausend Franken für ihre Mandanten.

Trittsicher und fit

Das Unglück ereignete sich im Herbst 2011 in der Region Adelboden. Die beiden Mädchen konnten an einem von einem Bergsportanbieter angebotenen Klettertag teilnehmen.

Er habe die Mädchen wie vereinbart vor einem Hotel in Empfang genommen, schilderte der Bergführer am Dienstag vor Obergericht. Die beiden Teenager hätten einen guten ersten Eindruck auf ihn gemacht.

Zunächst sei er mit ihnen in den Seilpark und in einen Klettergarten gegangen, wo sie sich verschiedene Techniken aneignen konnten. Die beiden Mädchen haben gemäss Bergführer ihre Sache «gut gemacht» und konnten problemlos umsetzen, was er ihnen zeigte.

Bei diesen ersten Übungen sehe ein Bergführer sofort, ob sich jemand linkisch anstelle oder Angst habe. Dementsprechend gehe man auf die Gäste ein und passe das Programm an. Dies sei aber bei den beiden Mädchen nicht angezeigt gewesen. Er habe die beiden als trittsicher, angstfrei und fit erlebt.

Ungesichert zum Abseilpunkt

Nach dem Mittag begab sich das Trio zur Cholerenschlucht, wo sie sich abseilen wollten. Diesen Entscheid treffe er nur, wenn er überzeugt sei, dass die Gäste der Sache gewachsen seien, betonte der Bergführer. Bevor sie zum Abseilpunkt wanderten, instruierte er die Mädchen und sagte ihnen, sie sollten schauen, wohin sie treten und nicht rennen.

Oberhalb der Schlucht stiegen die Drei auf einem steilen, nicht offiziellen Weg, der vom Bergsportanbieter unterhalten wird, zum Abseilpunkt ab. Dies tat die Gruppe ungesichert.

Gerade als der Bergführer beim Fixseil ankam und das erste Mädchen sichern wollte, stolperte das zweite Mädchen, rutschte den kurzen, mit Gras und kleinen Büschen durchsetzten Abhang kopfvoran hinab und stürzte 50 Meter in die Schlucht hinunter. Der Tschentenbach riss die 13-Jährige noch rund 60 Meter mit. Auf dem Weg ins Spital starb das Mädchen.

Worüber das Kind gestolpert war, konnte nicht mehr mit Sicherheit geklärt werden. An der Stelle gab es Holzschwellen, Armierungseisen, und Wurzeln auf dem Weg.

Um die Gefährlichkeit des Wegs gewusst

Vor Obergericht anwesend war einzig die Halbschwester der Verstorbenen. Die übrigen Privatkläger waren dispensiert oder hatten sich vom Verfahren zurückgezogen.

Sie habe ein sehr inniges Verhältnis zu ihrer neun Jahre jüngeren Halbschwester gehabt und sei ihr so etwas wie eine Ersatzmutter gewesen. «Mit ihr starb auch ein Teil von mir», sagte die junge Frau vor Gericht.

Ihr Anwalt nahm den Bergführer in seiner Garantenstellung in die Pflicht. Dieser habe um die Gefährlichkeit der Schlucht und des Weges nahe am Abgrund gewusst und die beiden Mädchen nur mit einer inhaltsleeren Floskel, sie sollten schauen, wo sie hintreten, instruiert.

Damit habe er dem Opfer die Möglichkeit genommen, höchste Vorsicht walten zu lassen oder sich gar gegen das Abseilen in die Schlucht zu entscheiden.

Im Unwissen über Risiken gelassen

Die beiden Mädchen hätten das Gefühl des spielerischen Einstiegs ins Klettern vom Morgen noch sehr präsent gehabt und sich nicht vorgestellt, dass das Abseilen in die Schlucht ein viel schwierigeres Unterfangen sei. Der Bergführer habe sie im Unwissen über die wahren Risiken in ihrer Sorglosigkeit belassen.

An deutlich weniger riskanten Stellen habe er die Kinder am Morgen noch gesichert. «Warum nur haben Sie das am Nachmittag auf dem Weg zum Abseilpunkt nicht mehr getan?», fragte der Parteivertreter.

Der Bergführer sei unerlaubte Risiken eingegangen, hielt ein weiterer Parteivertreter fest. Ein erlaubtes Risiko liege nur dann vor, wenn etwas ohne Risiko nicht durchführbar sei. In diesem Fall hätte das Risiko aber vermieden werden können. Die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft plädieren am Mittwochvormittag. Das Urteil wird am Freitag eröffnet.

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