Placebos: Heilung trotz fehlendem Wirkstoff – wie ist das möglich?
Scheinmedikamente mit chemisch unwirksamen Stoffen können die gleichen physiologischen Körperreaktionen auslösen wie «echte» Arzneien. Wie ist das möglich?
Das Wichtigste in Kürze
- Placebos enthalten keinerlei physiologisch wirksame Stoffe.
- Sie können die gleichen Körperreaktionen hervorrufen wie ihre echten Pendants.
- Die Wirkung eines Medikaments basiert nicht nur auf chemischen Reaktionen der Arznei.
Placebos sehen zwar aus wie herkömmliche Medikamente, enthalten keinerlei physiologisch wirksame Stoffe. Ganz im Gegensatz zu ihren mit Arzneistoffen bestückten Pendants. Dennoch können Placebos die gleichen Körperreaktionen hervorrufen wie die echten Medikamente.
Laut Dr. Ulrike Bingel, Schmerzforscherin der Universität Hamburg, sprechen 20 bis 90 Prozent der Teilnehmer entsprechender Studien auf Placebos an. Sie empfinden beispielsweise eine Schmerzlinderung, obwohl das Medikament wirkstofffrei ist.
Der therapeutische Effekt, den Placebos auslösen können, ist (noch) nicht vollständig verstanden. Bisher steht fest, dass die Wirkung der Scheinmedikamente auf mehreren Faktoren beruht, die durch unser Gehirn gesteuert werden.
Erwartungshaltung beeinflusst Wirkung
Ob der Placeboeffekt eintritt, hängt unter anderem davon ob, ob der Patient eine Wirkung erwartet. Hat der Patient zudem bereits gute Erfahrungen mit dem vermeintlichen Medikament gemacht, ist dies ebenfalls förderlich.
Informationen wie «das Medikament ist sehr teuer» oder «das Medikament ist vielversprechend, hat aber mögliche Nebenwirkungen», beeinflussen den Placeboeffekt ebenfalls.
Studien zeigen, dass Aussagen über Medikamente, die einen hohen Wirkungsgrad versprechen, den Placeboeffekt verstärken.
Auch die Farbe, Form oder Grösse der Scheinmedikamente beeinflussen die Wirkung. Bei Tabletten und Pillen in Rottönen wird eher eine stimulierende Wirkung erwartet, während mit Blautönen eher eine beruhigende Wirkung assoziiert wird.
Eine wichtige, positiv verstärkende Rolle kommt auch dem Vertrauen des Patienten gegenüber dem Arzt zu.
Placebos triggern die gleichen physiologischen Prozesse wie echte Medikamente
In Studien wurde nachgewiesen, dass Placebos die gleichen Körperreaktionen wie herkömmliche Medikamente auslösen können. Das zeigt sich zum Beispiel in Hormonausschüttungen und einer bestimmten Stimulierung des Immunsystems.
So haben Wissenschaftler der Universität Hamburg herausgefunden, dass der Placeboeffekt die Schmerzwahrnehmung im Gehirn beeinflusst. Diesen Effekt kann man sogar auf MRT-Bildern erkennen.
Allerdings reagieren nicht alle Menschen gleich stark auf Placebos. Woran das liegt, ist ebenfalls (noch) nicht verstanden. Führende Mediziner gehen davon aus, dass die therapeutische Wirkung eines jeden Medikaments auch durch nicht näher quantifizierbare Placeboeffekte beeinflusst werden.
Placebo wirkt, trotz Wissen darüber
Es ist besonders erstaunlich, dass bei vielen Menschen der Placeboeffekt wirkt, obwohl sie darüber informiert wurden, dass sie ein Scheinmedikament eingenommen haben.
Psychologen führen das darauf zurück, dass die Information nicht ausreicht, den Effekt zum Erliegen zu bringen. Die «heilende» Wirkung des Scheinmedikaments beruht auch auf vielen anderen Eindrücken wie Farbe und Aussehen des Scheinmedikaments und auf weiteren Eindrücken.
Das Gehirn traut der Information, dass es sich um ein Scheinmedikament handelt, nicht ohne weiteres. Es verlässt sich unbewusst auf andere Informationsquellen, die dem widersprechen.