«Hier ist noch alles möglich» erhält Robert Walser Preis 2018

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Bern,

Für ihren Roman «Hier ist noch alles möglich» erhält die in Zürich lebende Autorin Gianna Molinari den Robert Walser-Preis 2018 verliehen.

Für «Hier ist noch alles möglich» ist es nicht der erste Preis – im Juli 2017 wurde das Buch mit dem deutschen Bachmannpreis ausgezeichnet.
Für «Hier ist noch alles möglich» ist es nicht der erste Preis – im Juli 2017 wurde das Buch mit dem deutschen Bachmannpreis ausgezeichnet. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Gianna Molinaris Buch «Hier ist noch alles möglich» erhält den Robert Walser-Preis.
  • Das Buch handelt von einer Frau, einem Wolf und einem Mann, der vom Himmel fiel.

Gianna Molinaris Buch «Hier ist noch alles möglich» erzählt von einer jungen Frau, die als Nachtwächterin in einer Fabrik arbeitet, die demnächst verkauft oder liquidiert werden soll. Die Fabrik hat ihre besten Tage hinter sich, die Produktion läuft allmählich aus. Nur noch wenige Beschäftigte arbeiten auf dem Werkareal, auf dem sich die Erzählerin ganz niedergelassen hat. Sie bewohnt eine leere kleine Halle, die sie spartanisch mit ein paar Utensilien möbliert hat.

Darunter befindet sich auch ihr Universal-General-Lexikon, das sie laufend um fehlende Informationen von Hand ergänzt. Meist geht es dabei um Topographisches wie Umgrenzungen, Abbrüche oder Übergänge. Die Insel ist ihre ganz persönliche Lebensmetapher. Die Erzählerin selbst tastet nach ihren Grenzen, sie möchte «Teil einer Geschichte sein ... oder vieler Geschichten zugleich».

Wolfsfantasien

Meist hat sie das Fabrikgelände für sich. Es passiert hier nichts. Einzig das Gerücht, ein Wolf sei hinten bei den Kochabfällen gesichtet worden, sorgt für Aufregung. Ist etwas daran? Es werden Tellereisen ausgelegt, und mit Clemens, dem zweiten Nachtwächter, beginnt sie auf Geheiss des Chefs eine Fallgrube auszuheben.

Der Wolf aktiviert bei der Erzählerin wilde Fantasien und fesselt zunehmend ihre Aufmerksamkeit. Was wenn sich der Wolf ihr unvermittelt zeigte? Gleichermassen faszinierend wie bedrohlich übertritt er eine Grenze, die die Erzählerin selbst mit täuschenden Pirouetten zum Verschwinden bringen möchte.

Einer fiel vom Himmel

Ein zweites Phantasma treibt sie um, nebst dem Wolf: In der Nachbarschaft fiel einst ein dunkelhäutiger Mann unerklärlicherweise aus dem Himmel und schlug in einem Waldstück auf. Eine typische Urban legend, oder doch die Wahrheit, wie es vielleicht den Anschein macht? Auch diesem Vorfall geht sie akribisch nach.

Gianna Molinaris Debütroman spinnt sich still, zugleich hartnäckig um diese Motive, die präzise, mit Bedacht eingekreist und zugleich immer wieder ausgeweitet werden. Die Endlosigkeit des Himmels und die irdische Begrenztheit laden sich in der Gedankenwelt der Erzählerin gegenseitig auf. Auf der Nahtstelle dazwischen lauert der Wolf als Totemtier des Wilden, Verstörenden, Erstrebten - darin an die wunderbaren Wolfsbilder der Künstlerin Kiki Smith erinnernd.

Kühn und kühl

Die Autorin entwickelt dieses Gefüge eines bewegten Stillstands sorgsam und akribisch, ohne es unnötig mit Bedeutung aufzuladen. Sie bleibt sachlich kühl und kühn, indem sie die Dinge im erzählenden Präsens entwickelt - Schritt für Schritt realitätsverhaftet und zugleich irgendwie schräg, unwirklich, traumverloren. Diesen Eindruck verstärken die imaginativen Fotografien und kleinen schmucken Skizzen, die die Erzählung begleiten.

Mit der Zeit gerät selbst dieser Stillstand freilich ins Stocken. Die Dinge entwickeln sich nicht länger an Ort, sie verharren fortlaufend. Bis doch noch ein Wolf auftaucht - zumindest in der Vorstellung der Erzählerin.

Der Roman «Hier ist alles noch möglich» zeichnet sich durch seine stilistische Kompaktheit aus. Stillstand und Beschleunigung halten sich prekär die Waage. Das Lauern des Wolfs, das Fallen aus dem Flugzeug, die stotternde Fabrik - in all dem spiegelt sich atmosphärisch die innere Befindlichkeit der Erzählerin.

Alles und nichts

Sie verharrt in einem Schwebezustand der Latenz. Ihre scheinbare Unerschütterlichkeit ist womöglich nicht von Dauer. Aber noch bleibt alles möglich, noch kann alles werden: alles und auch nichts.

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