Kandidat Trump und die Sorge vor Wahlmanipulation
«Ich verliere nicht allzu oft.» Bei der Wahl im November ist zwar noch alles offen, eine Niederlage des Republikaners Trump gegen seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden ist aber durchaus denkbar - in landesweiten Umfragen liegt der Amtsinhaber hinten. Trump bereitet nach Ansicht von Kritikern bereits das Feld dafür, eine etwaige Niederlage womöglich nicht anzuerkennen - indem er schon jetzt die Legitimität der Wahl infrage stellt.
TRUMPS DÜSTERE WARNUNGEN
Beim Nominierungsparteitag der Republikaner am Montag (Ortszeit) in Charlotte (North Carolina) unterstellte Trump Bidens Demokraten ohne jeden Beleg, die Wahl im November manipulieren zu wollen. «Sie versuchen, die Wahl von den Republikanern zu stehlen», sagte er bei seinem vorab nicht angekündigten Besuch. «Die einzige Möglichkeit, wie sie uns diese Wahl wegnehmen können, ist, wenn das eine manipulierte Wahl ist.» Trumps Botschaft an seine Anhänger ist klar: Entweder er gewinnt am 3. November, oder es ist bei der Wahl nicht mit rechten Dingen zugegangen.
KONFLIKT UM DIE BRIEFWAHL
Hintergrund von Trumps Vorwürfen ist der Streit um die Briefwahl. Die Pandemie dürfte in den USA bis zur Wahl nicht beendet sein, die Forscher des Instituts IHME der Universität Washington in Seattle rechnen bis zum 3. November mit einem Anstieg der Todeszahlen auf mehr als 257 000 - rund 80 000 mehr als derzeit. Die Demokraten fordern daher, Briefwahl möglichst vielen Amerikanern zu ermöglichen, um das Infektionsrisiko bei der Stimmabgabe zu minimieren.
Trump wiederum läuft Sturm gegen eine Ausweitung der Briefwahl, die viele US-Bundesstaaten wegen der Pandemie vorbereiten. Bei der Wahl 2016 hatte rund jeder vierte Wähler davon Gebrauch gemacht - ohne dass es deshalb zu Manipulationsvorwürfen kam.
BRIEFWAHL-VORWAND CORONAVIRUS?
«Sie benutzen Covid, um unser Volk, unser ganzes Volk, um eine freie und faire Wahl zu betrügen», sagte Trump am Montag. «Das ist der grösste Betrug in der Geschichte der Politik.» Am Dienstag legte er auf Twitter nach: Ungefragt Millionen Briefwahlunterlagen zu verschicken sei ein «Fahrplan zur Katastrophe», schrieb Trump - und er warnte vor etlichen falschen oder fehlenden Stimmzetteln.
Der Präsident führt inzwischen beinahe täglich an, dass Briefwahl Manipulationen Tür und Tor öffnet. Einen Beweis für diese These bleibt er schuldig. Experten teilen Trumps Befürchtungen nicht, auch republikanisch regierte Bundesstaaten, in denen Briefwahl bereits üblich ist, sehen keine erhöhte Manipulationsgefahr. Trump machte am Montag aber auch deutlich, dass es ihm nicht nur darum geht.
EINE FRAGE DES ENTHUSIASMUS?
Der Präsident sagte vor den Delegierten, während seine Anhänger enthusiastisch seien, gelte das für das Gegenlager nicht. Seine Unterstützer würden daher auf jeden Fall ins Wahllokal gehen, seine Gegner aber womöglich darauf verzichten - und ihre Stimme nur dann für seinen Herausforderer abgeben, wenn sie das bequem per Brief erledigen könnten. Trump befürchtet also, dass es Biden-Wählern zu einfach gemacht werden könnte. Er will die Wahlbeteiligung möglichst niedrig halten, weil er sich davon Vorteile verspricht.
DIE ROLLE DES POSTCHEFS
Bei den Demokraten ist längst Alarmstimmung ausgebrochen, die nicht nur Trumps Rhetorik geschuldet ist. Vor der Wahl begann Post-Chef Louis DeJoy - ein Trump-Vertrauter - damit, Sortiermaschinen und Briefkästen abbauen zu lassen. Aus dem Reihen der Demokraten wurde ihm «Sabotage» vorgeworfen. DeJoy versicherte am Montag bei einer Anhörung im Kongress zwar: «Die Post ist voll und ganz in der Lage und verpflichtet, die Stimmzettel der Nation sicher und pünktlich zuzustellen.» Seine Kürzungsmassnahmen haben aber - besonders im Zusammenspiel mit dem Feldzug des Präsidenten gegen die Briefwahl - die Sorge vor etwaiger Wahlbehinderung durch Trumps Lager angeheizt.
DROHT DEN USA EINE KRISE NACH DER WAHL?
Biden sagte bereits im Juni in der «Daily Show»: «Das ist meine grösste Sorge, meine allergrösste Sorge. Dieser Präsident wird versuchen, diese Wahl zu stehlen.» Die «Washington Post» schrieb im vergangenen Monat, Trumps anhaltendes Schüren von Zweifeln an der Legitimität der Wahl könnte zu einer beispiellosen Belastungsprobe der US-Demokratie führen. Offen ist, was passiert, sollte Trump eine Niederlage nicht akzeptieren - dafür gibt es kein Drehbuch.
William Galston von der Denkfabrik Brookings sagte der Zeitung, Trump untergrabe mutwillig das Vertrauen «in den grundlegendsten demokratischen Prozess, den wir haben». Galston warnte vor einer «wirklich schädlichen Krise in den Tagen und Wochen nach der Wahl». Trumps Verhalten nannte er «zutiefst unverantwortlich».
REPUBLIKANER GESCHLOSSEN HINTER TRUMP
Offene Kritik an diesem Verhalten regt sich im Trump-Lager nicht. Wie sehr der Präsident die Republikaner auf Linie gebracht hat, zeigte sich zum Auftakt des Parteitags in Charlotte: Mit 100 Prozent der 2550 Stimmen wurde Trump zum Kandidaten bei der Wahl am 3. November nominiert. Trump zeigte sich danach siegesgewiss. «Wir werden diese Wahl gewinnen», sagte er. Und wenn das Resultat anders ausfällt? Beim Interview mit Fox News im Juli wurde Trump gefragt, ob er das Wahlergebnis anerkennen werde. Seine Antwort: «Das muss ich sehen.»