Bernerin Aischa (18) über die Explosion in Beirut
Die Berner Studentin Aischa Souayfan (18) spricht über die Situation in der libanesischen Hauptstadt Beirut nach der grossen Explosion.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 4. August explodierten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen.
- Jetzt spricht die Berner Studentin Aischa Souayfan (18) über die Zeit danach.
- Die Wut über die Behörden sei gross, aber auch die Solidarität unter den Betroffenen.
Am 4. August erlebte die Stadt Beirut im Libanon eine verheerende Explosion. Mindestens 165 Menschen wurden dabei getötet und 6000 weitere verletzt. Rund 300'000 Menschen verloren ihr Zuhause, wie das libanesische Gesundheitsministerium mitteilte.
Grund der Explosion sollen 2750 Tonnen Ammoniumnitrat sein, die sich im Hafen Beiruts befanden. Zuvor waren die Chemikalien rund sechs Jahre lang ungesichert gelagert.
Das Land ist erschüttert, der Schock sitzt tief. Wut auf die Behörden mischt sich mit Verzweiflung. So geht es auch der jungen Libanesin Aischa Souayfan (18).
Die Studentin aus Bern besuchte wie jedes Jahr im Sommer ihre Verwandten, die im Libanon leben. Sie stammen aus einer Stadt, die etwa 35 Kilometer südlich von Beirut liegt.
Aischa hatte Glück. Einen Tag vor der Explosion kam sie zurück in die Schweiz. Sie war schockiert, als sie die Nachricht erreichte: «Obwohl ich viele Kilometer entfernt war, war der Schmerz so gross, als wäre ich vor Ort gewesen.»
Grosse Solidarität
Aischas Familie, die im Libanon lebt, berichtet, dass viele Libanesen ihre Türen geöffnet haben, um Obdachlose zu empfangen. Das Volk habe den Wiederaufbau der Stadt selbst übernommen.
Man helfe sich gegenseitig dabei, die Glasscherben und Steinbrocken aus den Häusern zu entfernen. Die Strassen werden geputzt und es wird gemeinsam nach Vermissten gesucht.
Aischa: «Wir helfen einander, keine Frage. Wir sind nicht mehr auf die Hilfe der Regierung angewiesen, denn die wird nie kommen.»
Libanesen sehen keine Zukunft
Bereits 2019 entflammte die Wut der Libanesen auf die Regierung. Am 17. Oktober begann eine Reihe von Protesten, die das ganze Land bewegten. Auslöser unter anderem war der Beschluss der Regierung, Gebühren für den Gebrauch von WhatsApp zu erheben.
Aischas Cousins und Freunde gingen nicht mehr zur Schule. «Warum auch? Sie sollen sich auf eine Zukunft vorbereiten, die sie in ihrer Heimat sowieso nicht haben», so die 18-Jährige.
Viele in ihrem Alter, die es sich leisten konnten, verliessen den Libanon spätestens für das Studium. Ihre Cousine habe immer gesagt: «Man kommt nicht weit im eigenen Land.»
Das Land kämpfte bereits mit einer Wirtschaftskrise
Und nun der emotionale Sommer 2020. Der Libanon kämpft mit einer heftigen Wirtschaftskrise. Die libanesische Währung verliert ihren Wert, das Land erlebt eine riesige Inflation.
Aischa war schon bei der Ankunft klar, dass dieser Sommer anders werden würde. Sie erinnert sich: «Der kleine Supermarkt in unserem Dorf war leer. Jeder hat Angst davor, dass die libanesische Lira noch mehr an Wert verliert und besorgt sich deshalb Vorräte. Letztes Jahr habe ich für einen kleinen Einkauf 20 Lira bezahlt, heute ist es das Vierfache.»
Die Berner Studentin ist schockiert vom Anblick der schwerwiegenden Auswirkungen der Wirtschaftskrise: «Die Menschen, die ich kennenlernte, haben kein Geld, um ihre Medikamente zu kaufen und werden nicht gesund. Sie haben kein Geld, um den Strom und sauberes Wasser zu bezahlen, welches sie dringend brauchen.»
Aischa weiter: «Sie haben nicht genug Geld, um ihre Miete zu bezahlen. Man merkt, Geld ist das wichtigste Element, um überleben zu können. Genau das wird ihnen von der Regierung weggenommen.»
Zuversicht trotz des grossen Schmerzes
Wie viele andere Libanesen gibt auch Aischa der Regierung die Schuld an der Katastrophe: «Ich liebe dieses Land und seine Menschen. Um so mehr verletzt es mich zu sehen, wie die Behörden das Leben der Libanesen zerstören. Sie sind Geiseln in ihrem eigenen Land.»
Trotz des Schmerzes, den sie verspürt, ist Aischa zuversichtlich: «Das libanesische Volk ist schon oft gefallen und wird auch dieses Mal wieder aufstehen. Der Kampf um Freiheit und Rechte geht weiter und sie werden nicht aufgeben. Im Libanon triffst du auf die stärksten Menschen, die du je gesehen hast.»