Chiles Präsident spricht angesichts sozialer Unruhen von «Krieg»
Angesichts der schwersten sozialen Unruhen seit Jahrzehnten spricht Chiles Präsident Sebastián Piñera von einem «Krieg».
Das Wichtigste in Kürze
- Regierung weitet Ausnahmezustand aus - Zahl der Toten steigt auf sieben.
Die konservative Regierung des südamerikanischen Landes weitete am Sonntag den Ausnahmezustand aus. Der zunächst nur für die Hauptstadt Santiago de Chile geltende Notstand wurde in mehr als der Hälfte der Regionen des Landes verhängt. Die Zahl der Todesopfer stieg auf sieben, rund 1500 Menschen wurden festgenommen.
«Wir befinden uns im Krieg gegen einen mächtigen, unversöhnlichen Feind», sagte Piñera am Sonntagabend nach einer Krisensitzung mit General Javier Iturriaga, der mit der Wiederherstellung der Sicherheit in der Hauptstadt Santiago de Chile beauftragt wurde. Der Gegner sei bereit, grenzenlos Gewalt und Kriminalität einzusetzen, sagte Piñera. Alle Chilenen müssten sich jetzt zusammenschliessen.
Der Ausnahmezustand wurde von Innenminister Andrés Chadwick auf neun der 16 Regionen Chiles ausgeweitet. Die Gewalteskalation werde organisiert, um Chile zu schaden, sagte Chadwick. Eine nächtliche Ausgangssperre in Santiago de Chile wurde verlängert. Am Flughafen der Hauptstadt fielen hunderte Flüge aus, tausende Passagiere strandeten.
Die Proteste waren durch eine Erhöhung der Ticketpreise für den öffentlichen Nahverkehr in der Sieben-Millionen-Stadt Santiago de Chile ausgelöst worden. Nach ersten Zusammenstössen am Freitag hatte der konservative Präsident Piñera die Fahrpreiserhöhung am Samstag ausgesetzt. Die Unruhen hielten aber an.
Am Wochenende kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Dutzende Supermärkte und Tankstellen wurden geplündert, die Zentrale eines grossen Energieunternehmens sowie ein Redaktionsgebäude von Chiles ältester Zeitung in Brand gesetzt. 78 U-Bahn-Stationen in Santiago wurden beschädigt.
Die konservative Regierung hat fast 10.000 Polizisten und Soldaten mobilisiert. Es ist das erste Mal seit dem Ende der Diktatur unter General Augusto Pinochet 1990, dass in der chilenischen Hauptstadt das Militär patrouilliert.
Wegen der Proteste wurden bereits rund 1500 Menschen festgenommen. Die Zahl der Todesopfer stieg auf mindestens sieben: Bei einem Brand in einer geplünderten Kleiderfabrik im Norden der Hauptstadt starben am Sonntag fünf Menschen, wie ein Feuerwehrvertreter örtlichen Medien sagte. Die Leichen seien im Inneren der Fabrik gefunden worden.
In der Nacht zum Sonntag waren bereits zwei Menschen gestorben, als ein Supermarkt im Süden Santiagos bei einer Plünderung in Brand geraten war.
Mehrere internationale chilenische Fussballstars forderten die Regierung auf, «auf die Menschen zu hören» und Lösungen für den schlimmsten sozialen Konflikt seit Jahrzehnten zu finden. «Ich bete, dass es meinem geliebten Chile besser geht», schrieb Arturo Vidal, Mittelfeldspieler des FC Barcelona, im Onlinedienst Twitter. «Jetzt ist die Zeit für Antworten und Lösungen gekommen», sagte Claudio Bravo, Kapitän von Chiles Nationalmannschaft.
Das Auswärtige Amt in Berlin rief Chile-Reisende zu besonderer Vorsicht auf. Weitere Ausschreitungen in grösseren Städten seien nicht auszuschliessen. Reisende sollten deswegen öffentliche Plätze und Menschenansammlungen meiden, den Anweisungen der örtlichen Sicherheitskräfte folgen und sich in lokalen Medien informieren, erklärte das Ministerium am Sonntagabend.
Bei den Protesten geht es generell um die Kluft zwischen Arm und Reich in dem südamerikanischen Land. Chile, das als eines der stabilsten Länder Lateinamerikas gilt, hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Region. Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr auf 2,5 Prozent geschätzt, die Inflation liegt bei lediglich zwei Prozent. Angesichts steigender Gesundheits- und Lebenshaltungskosten, niedriger Renten und sozialer Ungleichheit ist die Frustration aber gross.