Corona im Griff: China als «Rettungsanker» für Autobauer
Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie kommt die Autowelt wieder in China zu einer grossen Messe zusammen. Die Aussichten für den grössten Automarkt sind gut - aber auch die Abhängigkeit von China wächst.
Das Wichtigste in Kürze
- In der globalen Corona-Krise ist die Erholung des chinesischen Automarkts ein «Rettungsanker» für die deutschen Autobauer.
Zum Auftakt der internationalen Autoausstellung am Samstag in Peking sagten Experten einen weiteren Zuwachs auf dem weltgrössten Automarkt bis Jahresende und auch im nächsten Jahr voraus. Während das Geschäft weltweit stark eingebrochen ist, wächst die Bedeutung Chinas damit noch. Eine Sprecherin des Volkswagenkonzerns sah in der Erholung in China einen «Anker» im globalen Autogeschäft. Experten sprachen von einem «wesentlichen Stützpfeiler», warnten aber auch vor allzu grosser Abhängigkeit und politischer Erpressbarkeit.
Die «Auto China 2020» ist die erste grosse internationale Ausstellung der Branche seit mehr als einem halben Jahr. China hat das Coronavirus weitestgehend unter Kontrolle und zählt schon länger kaum noch lokale Infektionen. So konnte die im Frühjahr zunächst verschobene Ausstellung nachgeholt werden. Zum Auftakt drängten sich Besucher in den Hallen, obwohl die Veranstalter dazu aufforderten, einen Meter Abstand zu halten. Auch galt unverändert Maskenpflicht.
Die Messe wird abwechselnd in Shanghai und Peking abgehalten und zählt zu den grössten der Autobranche. Sonst kommen Millionen von Besuchern aus dem In- und Ausland. Aus Angst vor einer Einschleppung des Virus beschränkt China aber die Einreise streng und verlangt zwei Wochen Quarantäne. Auch gibt es nur wenig Flüge nach China. So fehlten in diesem Jahr die Chefs der Autokonzerne und angereisten Vorstandsmitglieder. «Das entspannt die ganze Messe», sagte ein Manager, der mit den Vorbereitungen vertraut ist.
Anders als im globalen Autogeschäft sind die Aussichten für China rosig. «Ich rechne mit einem sehr guten Absatz in der zweiten Hälfte des Jahres», sagte Cui Dongshu von Chinas Personenwagenvereinigung (CPCA). Nach dem Einbruch wegen der Pandemie in der ersten Hälfte des Jahres werde sich der erwartete Rückgang für das Gesamtjahr auf ein Minus von nur noch fünf bis acht Prozent verkleinern. Trotz aller Unsicherheiten rechnet Cui Dongshu 2021 wieder mit einem Zuwachs von acht Prozent. Andere Fachleute sagten auch ein Plus von fünf bis sieben Prozent voraus und beschrieben China als «Rettungsanker».
«Ohne China wäre die deutsche Autoindustrie kaum wiederzuerkennen», sagte Ferdinand Dudenhöffer vom Center for Automotive Research (CAR). Mercedes habe im zweiten Quartal einen Rückgang weltweit von 20 Prozent erlitten, aber den Absatz in China um 22 Prozent gesteigert, verdeutlichte der Experte die Lage. Bei BMW habe es «noch krasser» ausgesehen: Einem weltweiten Einbruch von 25 Prozent habe im zweiten Quartal ein Zuwachs von 17 Prozent in China gegenübergestanden.
Damit steigt der Anteil Chinas am globalen Geschäft. Beim VW-Konzern sind es nach eigenen Angaben in den ersten acht Monaten des Jahres 40 Prozent gewesen. Eine starke Abhängigkeit von einer grossen Region sei immer ein Risiko, findet Dudenhöffer. «Die Frage ist aber, welches Risiko ist grösser: Die Abhängigkeit von China oder in China zum Nischenanbieter zu werden?» Risiken in China könnten «handhabbar» und «tragbar» gemacht werden, meinte der Experte.
Ein viel grösseres Risiko seien die unberechenbaren USA unter US-Präsident Donald Trump, meinte Dudenhöffer. «Wenn Trump einen schlechten Tag hat und ein paar Wählerstimmen braucht, erhebt er über Nacht Zölle gegenüber der deutschen Autoindustrie.» Seine Zollkriege hätten deutschen Autobauern schon Milliarden-Verluste beschert.
Wo der Markt in Europa und den USA nicht so gut laufe, zeige sich, «wie dramatisch wichtig dieser Markt ist», meinte auch Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM). China sei «schon mehr als ein Hoffnungsträger». «Im Moment rettet China so ein bisschen den Weltmarkt.» Es sei «ein wichtiger Anker gerade für die deutschen Autobauer». Hersteller könnten es sich nicht leisten, China auszuklammern, dürften aber andere Märkte nicht vernachlässigen.
Die wachsende Abhängigkeit sei nicht unproblematisch. «Wenn der Markt ein Problem bekommt und man ist dort weit überproportional aktiv, dann kann man in Turbulenzen geraten», sagte Bratzel. «Ein sehr hoher Marktanteil in China bedeutet natürlich auch eine Art Abhängigkeit politischer Dimension bis hin zu Erpressbarkeit.»
Auch wenn der Anteil im globalen BMW-Geschäft gerade wächst, sieht der Münchner Autobauer keine allzu grosse Abhängigkeit von China. BMW sei breit aufgestellt, sagte China-Chef Jochen Goller. Der Markt in Europa sei für BMW «weit grösser» als der in China. «Wir haben eine gute Balance.» Auch sagte Goller: «Es ist keine Option, in China nicht zu wachsen.» Für den Rest des Jahres erwarte BMW noch «sehr starkes Wachstum». Nach dem anfänglichen Rückgang des Absatzes in China durch die Corona-Krise ziele BMW für das gesamte Jahr auf ein «einstelliges Wachstum», wie Goller sagte.
Hinter der Wende steckt die unerwartet schnelle wirtschaftliche Erholung in China, das als erste grosse Volkswirtschaft wieder Wachstum zeigt. Auch die Angst der Menschen, in der Pandemie öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, gilt als Motivationsfaktor für einen Autokauf. Der Absatz von Personenwagen stieg im August um 8,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 1,73 Millionen - nach einem Plus von 7,9 Prozent im Juli. Elektrofahrzeuge verkauften sich mit einem Zuwachs von 45 Prozent im August auf 82.500 noch besser.