Coronavirus: Das kann die Schweiz von Neuseeland lernen

Noëlle Schnegg
Noëlle Schnegg

Neuseeland,

Neuseeland gelang es, die Übertragung des Coronavirus zu unterbrechen. Der Schweizer Epidemiologe Marcel Tanner erklärt, warum und wo die Schweiz lernen kann.

Coronavirus
Niemand griff so rasch und konsequent mit den Corona-Massnahmen durch wie sie: Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Neuseeland verzeichnet seit Beginn der Pandemie knapp 2300 Fälle und 25 Corona-Tote.
  • Der Schweizer Epidemiologe Marcel Tanner erklärt das Erfolgsrezept des Inselstaats.
  • Dabei nimmt laut ihm die Regierung unter Jacinda Ardern eine zentrale Rolle ein.

«Act as if you had Covid»: Verhalte dich so, als hättest du das Coronavirus. Dies sagte die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern im März 2020 vor dem landesweiten Lockdown. Und wiederholt diesen Satz seither immer wieder.

Das neuseeländische Gesundheitsministerium hat Zahlen aufgeführt, von denen man in der Schweiz nur träumen kann. Die täglichen Fallzahlen können die Neuseeländer an einer Hand abzählen. Seit Pandemiebeginn waren es knapp 2300 Fälle – gestorben sind 25 an den Folgen des Coronavirus.

Coronavirus Neuseeland
Die neu gemeldeten Fälle mit dem Coronavirus blieben im weltweiten Vergleich in Neuseeland moderat. - Gesundheitsministerium Neuseeland

Für ein Land mit fast fünf Millionen Einwohnern sind das im Vergleich zu anderen Ländern sehr tiefe Werte. Seit Monaten liegt der 7-Tage-Mittelwert unter zehn neuen Corona-Fällen. Was macht der Inselstaat im Südwestpazifik anders als der Rest der Welt?

Coronavirus: Geografischer Vorteil als Insel

Entscheidend ist zuerst einmal der Vorteil der geografischen Lage. Als Insel ist Neuseeland abgeschieden vom Rest der Welt, betont Ex-Task-Force-Mitglied und Epidemiologe Marcel Tanner.

«Das Land konnte es sich leisten, auf sich selbst konzentriert, rigoros und konsequent einzuschreiten. Und klare wie auch strenge Massnahmen gegen das Coronavirus zu verhängen.»

In Europa, wo die Staaten eng miteinander verflochten sind, seien Mobilitätsbeschränkungen viel schwieriger umzusetzen, so Tanner. Als Beispiel: Allein im dritten Quartal 2020 passierten über 340'000 Grenzgänger die Schweizer Grenze. «Abstimmungen auf vielen Ebenen mit Nachbarn sind so immer nötig.»

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Marcel Tanner ist Public Health Spezialist und ausgetretenes Mitglied der Coronavirus Task Force des Bundes. - keystone

Bereits im März 2020 verhängte die neuseeländische Regierung gemäss der Oxford-University einen der weltweit härtesten Lockdowns. Damals meldete das Land durchschnittlich 70 neue Fälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus.

Konkret hiess das: Alle Kontakte ausserhalb des eigenen Haushalts zu unterbinden. Man konnte also von einer Selbstisolation sprechen. Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte, Restaurants, Freizeiteinrichtungen, Schulen und Büros wurden für sieben Wochen geschlossen. Ausserdem war Arderns Regierung eine der ersten, die eine Quarantänepflicht für Einreisende verhängte.

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Menschen stehen an einer Covid-19-Teststation auf einem Supermarktparkplatz in Christchurch, Neuseeland, an. - keystone

Eine solche Isolation des Landes brachte auch wirtschaftliche Folgen mit sich. Die Regierung versprach aber auch deshalb ein Milliarden-Hilfspaket.

Der harte Lockdown zeigte Wirkung: Innert Wochen wurden die Neuinfektionen praktisch auf Null gedrückt. Neuseeland gelang es, die Übertragung des Coronavirus zu unterbrechen.

Als Belohnung konnten Weihnachtsfeste stattfinden. Die Kinder gingen wieder zur Schule, die Menschen besuchten das Kino, die Wirtschaft erholte sich langsam. Und an Silvester fand – im Gegensatz zu vielen anderen Staaten – ein Feuerwerk statt. Kurz: Das Land ist praktisch zur Normalität zurückgekehrt.

Neuseeland beginnt erst im April mit Impfen

Um diese neugewonnene Normalität bewahren zu können, bleibt die Grenze zu Neuseeland weiterhin zu. Für zwingende Einreisen gilt eine Quarantänepflicht. Wenn die Zahlen wieder ansteigen, werden regionale Lockdowns verhängt.

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Die Teilnehmer an den täglichen Pressekonferenzen des Gesundheitsministerium tragen nicht einmal mehr Masken. Das Bild stammt vom 28. Januar 2021. - YouTube / @Ministry of Health

Am Mittwoch hat die Arzneimittelbehörde des Landes Medsafe den Impfstoff von Biontech/Pfizer vorläufig zugelassen. Im April sollen die ersten Personen gegen das Coronavirus geimpft werden. Priorisiert werden zuerst Beschäftigte mit Systemrelevanz und im Bereich des Grenzverkehrs.

Weiter sieht Tanner den Erfolg der Corona-Strategie darin, wie die neuseeländische Regierung unter Einbezug der Wissenschaft handle. «Ardern agiert und kommuniziert immer konsequent, schnell und auf sympathische Weise; keine Angst- und Panikmache – die Menschen verstehen, worum es geht», findet Tanner. Die Regierungschefin nehme in der jetzigen Krise eine zentrale Rolle ein.

Akzeptanz der Corona-Massnahmen in der Bevölkerung

Als Experte des Bereichs «Public Health» setzt sich Marcel Tanner mit der Akzeptanz von behördlichen Massnahmen auseinander. Wo liegen die Unterschiede zwischen Neuseeland und der Schweiz?

«Die Mentalität ist in Neuseeland eine ganz andere. Als Inselstaat ist der Zusammenhalt in der Bevölkerung im Gegensatz zu Europa viel grösser», meint Tanner. Auch bei der Akzeptanz in der Bevölkerung spielt die Regierung eine wichtige Rolle.

«Jacinda Ardern machte den Menschen deutlich, dass alle im selben Boot sitzen.» So spricht etwa die Premierministerin von einem «Team von fünf Millionen», das gemeinsam gegen das Virus ankämpft.

Marcel Tanner: «Der Schweiz geht es zu gut»

Genau hier sieht Tanner eine Grundproblematik in der Schweiz: Dem Land gehe es zu gut, findet er. «Der Wohlstand führt dazu, dass man verlernt hat, im selben Boot zu sitzen.» Marcel Tanner nennt dies «Fragmentierung des sozialen Gewebes».

Ein weiterer Punkt: Das Land setze nicht auf falsch verstandene Eigenverantwortung, sondern auf eine Gemeinschaftsverantwortung und Solidarität in der Krise, sagt Tanner.

Wie finden Sie die Corona-Strategie Neuseelands?

Doch auch in Neuseeland gebe es Schwierigkeiten, stellt Marcel Tanner klar. Der Tourismussektor, wichtiger Wirtschaftszweig, kämpfe enorm in der Pandemie. Trotzdem: «Das Land konnte die Infektions- und Todeszahlen nur so gering halten, weil es schneller, konsequenter und als Team von fünf Millionen handelte.»

Kurz: Laut Marcel Tanner kann die Schweiz viel von Neuseeland lernen, ausgenommen beim Contact Tracing, wo wir Technik und Ansatz nicht übernehmen konnten. Die Zurückverfolgung der GPS-Daten, wie es Neuseeland macht, ist nach Schweizer Datenschutzgesetz verboten. Deshalb hat die Schweiz die für unsere Situation mögliche Covid-App selbst entwickeln müssen.

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