Coronavirus: Nepal droht noch schlimmere Welle als Indien
Das Wichtigste in Kürze
- Die indische Corona-Welle schwappt auf Nepal über.
- Dort ist das Gesundheitssystem noch schwächer als in Indien.
- Bereits sind die Fallzahlen höher als im Nachbarstaat – es droht eine Katastrophe.
Seit einer Woche kommt Indien nicht mehr aus den Schlagzeilen: Bilder von Menschen auf der Suche nach Sauerstoff und Massen-Leichenverbrennungen gehen um die Welt. Es ist zweifelsohne die schwerste Krise in Indien bisher.
Indiens Situation ist beispielhaft für die schwierige Situation der Entwicklungsländer im Kampf gegen das Coronavirus. Mit etwas Verzögerung hat die Welle nun Nepal erreicht. Das arme Land zu Füssen des Himalaja hat noch schlechtere Chancen, den Ausbruch einzudämmen. Dabei sind die Fallzahlen bereits höher als im grossen Nachbarland.
Exponentielles Fallwachstum des Coronavirus in Nepal
Der Anstieg in Indien ist ein Paradebeispiel für einen exponentiellen Anstieg: Seit Anfang März lag dort R deutlich über 1: Die Fallzahlen wurden exponentiell höher, die Infektionskurve immer steiler.
Mit wenigen Wochen Verzögerung folgt die Kurve Nepals nun der indischen: Der Anstieg ist ebenso exponentiell, wenn nicht sogar noch rasanter. Indien stagniert mittlerweile bei einer Marke von 30 täglichen Infektionen mit dem Coronavirus pro 100'000 Einwohner. In Nepal ist beim gleichen Wert noch kein Ende absehbar.
Tatsächlich dürfte der Wert noch einmal deutlich höher liegen: Aufgrund des schlechter ausgebauten Testsystems dürften in Indien und Nepal deutlich mehr Infektionen übersehen werden als in der Schweiz.
Kaum Intensivbetten, kaum Ärzte
Inzwischen steigen die Zahlen in Indien nicht mehr so schnell an wie noch vor einer Woche. Doch damit ist dem Schrecken noch nicht Einhalt geboten. Exemplarisch sieht man in Indien, was in Nepal gerade beginnt.
Als Erstes wird es auf den Intensivstationen eng – das kennen wir in der Schweiz aus der zweiten Welle. Doch während die Schweiz über 10 Intensivbetten auf 100'000 Einwohner kommen, sind es in Indien gemäss «WorldAtlas» gerade einmal 2,3. Für Nepal gibt es keine Informationen zu Intensivbetten. Es sei jedoch inzwischen «nahezu unmöglich», freie Betten für Covid-Patienten zu schaffen, schreibt das Gesundheitsamt.
Das Gesundheitssystem ist auch ohne Coronavirus bereits schwach: Nur 0,7 Ärzte kommen auf 100'000 Einwohner, schreibt «CNN»: Gerade einmal 7 Prozent der Bevölkerung haben gemäss «Ourworldindata» mindestens eine Impfdosis erhalten – noch einmal weniger als in Indien.
Anstelle mittels einer Intensivbehandlung versuchen daher viele Menschen in Indien und Nepal mithilfe der Sauerstoffversorgung das Schwerste zu überstehen. Auch die nepalesische Regierung bemüht sich darum, dass der Sauerstoff nicht ausgeht: Sie bittet hierbei in den lokalen Medien um Hilfe aus der Bevölkerung.
Empfindliche Wirtschaft ist in Gefahr
Nicht nur die Situation des Gesundheitssystems ist in Nepal völlig anders als in Europa: Auch in Sachen Lockdown hat es Nepal schwierig. Die Wirtschaft ist eng an die indische gekoppelt. Grenzschliessungen hätten schwere Konsequenzen.
Seit Ende April ist in der Hauptstadtregion um Kathmandu ein Lockdown in Kraft. Doch dieser ist nicht mit einem europäischen Lockdown zu vergleichen: Mehr als 70 Prozent der nepalesischen Arbeitskräfte arbeiten gemäss der «Internationalen Arbeitsorganisation» im informellen Sektor.
Für die grosse Zahl nicht registrierter Arbeitskräfte lassen sich Distanzmassnahmen, Homeoffice und Kurzarbeit praktisch nicht umsetzen. Jeder Tag des Lockdowns gefährdet die Existenzgrundlage vieler Nepalesen.
Aufgrund der hohen Infektionszahlen befindet sich das Land wieder auf diversen Risikolisten, so auch auf der Schweizer Liste der Risikogebiete. Die nepalesische Regierung zog die Reissleine und strich zuletzt alle In- und Auslandsflüge bis 14. Mai.
Die Aussichten inmitten des schweren Ausbruchs sind düster: Inzwischen breitet sich das Coronavirus auch im Basiscamp am Mount Everest aus. Damit bleibt der Tourismus – eine der wichtigsten Einnahmequellen Nepals – vorerst aus.