Flüchtlinge im Mittelmeer: Griechenland wieder im Fokus

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Viele Flüchtlingslager in Griechenland sind hoffnungslos überfüllt. Dramatisch ist die Situation vor allem für Tausende Kinder, die dort ohne ihre Eltern ausharren.

Zuflucht EU? Viele Flüchtlingslager in Griechenland sind hoffnungslos überfüllt und erschreckend schäbig. Foto: Angelos Tzortzinis/dpa
Zuflucht EU? Viele Flüchtlingslager in Griechenland sind hoffnungslos überfüllt und erschreckend schäbig. Foto: Angelos Tzortzinis/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Auf den griechischen Inseln im Osten der Ägäis ist es eng geworden.

Ob Lesbos, Chios, Samos, Leros oder Kos - überall sind die Registrierungslager, Camps und Unterkünfte für Flüchtlinge und Migranten überfüllt.

Ende Dezember lebten dort knapp 42.000 Migranten, bei einer Kapazität von gerade mal 7500. Unter ihnen sind nach Angaben der EU-Kommission 1922 unbegleitete Minderjährige. Die Lage ist explosiv. Tausende Menschen leben in Zelten und Hütten, die sie aus Plastikplanen und Zweigen selbst gebaut haben. Der kleinste unvorhersehbare Zwischenfall - ein Streit zwischen Migranten oder mit Einwohnern - könnte chaotische Zustände auslösen, warnen die Insel-Bürgermeister.

Die Gesamtzahl der Migranten, die die europäischen Mittelmeerländer erreichten, ist 2019 zwar erneut gesunken. Waren 2018 141.472 Migranten angekommen, haben dieses Jahr bis zum 23. Dezember 122.624 Menschen aus der Türkei, Libyen und anderen Staaten Afrikas nach Europa übergesetzt, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mit.

Eine Ausnahme bildet allerdings die Ägäis: Die Zahl der Migranten, die aus der Türkei nach Griechenland übersetzten oder auf dem Landweg kamen, ist deutlich gestiegen. Bis zum 23. Dezember waren es nach UNHCR-Angaben 73.377 - und damit fast 23.000 mehr als im Gesamtjahr 2018. Um die überfüllten Lager auf den Inseln zu entlasten, begann die griechische Regierung Anfang Oktober, Migranten aufs Festland zu bringen.

Zahlreiche humanitäre Organisationen, aber auch Politiker rufen dazu auf, dringend die unbegleiteten Minderjährigen aus Griechenland zu holen und sie in geeigneten Unterkünften in anderen EU-Ländern unterzubringen. Nach EU-Angaben harren in ganz Griechenland 5276 unbegleitete Minderjährige aus. Davon seien neun Prozent jünger als 14 Jahre und damit im Sinne des Jugendschutzgesetzes Kinder. In Griechenland fehlen 3000 geeignete Unterkünfte für Minderjährige.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht immer wieder, den Flüchtlingen in seinem Land den Weg Richtung Europa zu öffnen. Damit wackelt der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016. Danach darf jeder Migrant, der illegal auf die griechischen Inseln übersetzt, in die Türkei zurückgeschickt werden. Die türkischen Behörden hindern ihrerseits die Migranten daran, sich einzuschiffen.

Das Abkommen wirkte zunächst: Kamen 2015 nach UNHCR-Angaben noch 856.723 Menschen auf dem Seeweg nach Griechenland, so waren es 2016 nur noch 173.450 und 2017 gerade mal 29.178.

Kurz vor Beginn des neuen Jahres sieht es anders aus: Der griechische Vize-Bürgerschutzminister Giorgos Koumoutsakos schätzt, dass an der türkischen Ägäisküste mindestens 250.000 Menschen auf eine Chance warten, zu den griechischen Inseln und damit in die EU überzusetzen. Nicht nur griechische, auch viele andere europäische Politiker blicken mit Sorge Richtung Türkei.

In Italien sank die Zahl der Neuankömmlinge von 181 436 im Jahr 2016 auf knapp 11.300 bis zum 23. Dezember diesen Jahres. Als Hauptgrund gilt ein umstrittenes Abkommen, das die damalige sozialdemokratische Regierung 2017 mit Libyen schloss. Das Memorandum wurde von informellen Vereinbarungen mit diversen Milizen des Bürgerkriegslandes begleitet. Ziel war es, die Libyer dazu zu bringen, Migranten nicht aufs Meer hinaus zu lassen.

Menschenrechtler prangern die Zustände in libyschen Lagern an, in denen afrikanische Migranten gefangengehalten und misshandelt werden. Es gibt Berichte, dass Menschenhändler und Kriminelle Teile der von EU und Italien mitfinanzierten libyschen Küstenwache kommandieren.

Nach Einschätzung des italienischen Migrationsexperten Matteo Villa spielten ausserdem die Abkommen eine Rolle, die die EU mit Ländern wie Niger oder dem Sudan abgeschlossen hat, um Migranten schon südlich von Libyen aufzuhalten.

In Italien wurde dann 2018 der rechte Hardliner Matteo Salvini Innenminister, der die internationalen Hilfsorganisationen bekämpfte und die Häfen für Rettungsschiffe schloss. Nach dem Regierungswechsel im September mit dem Ausscheiden von Salvinis Lega fährt die neue Führung einen moderateren Kurs. Villa sieht aber nur vorsichtige Änderungen an der von Rom seit Jahren verfolgten «Politik der Abschreckung». «Die Italiener haben sehr viel Angst vor sehr wenigen Landungen», bemerkt er.

Auch in Spanien kamen 2019 deutlich weniger Migranten an. Hatte das Land 2018 mit mehr als 65.000 die höchsten Ankunftszahlen unter den Mittelmeeranrainern, waren es bis Ende Dezember 2019 nur knapp 31.000. Dies wird vor allem auf eine bessere Kooperation mit Marokko zurückgeführt.

Am 23. September verständigten sich die Innenminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Maltas auf eine Grundsatzeinigung für die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer. Gerettete Migranten sollten demnach innerhalb von vier Wochen auf andere EU-Staaten verteilt werden. Allerdings hat sich der Vereinbarung bislang kein anderes Land offiziell angeschlossen. Auch feste Quoten zur Verteilung der Geretteten gibt es nicht.

Villa erinnert daran, dass derzeit die Zahl der Migranten auf der zentralen Mittelmeerroute im Vergleich zu Ankünften in Ländern wie Deutschland lächerlich niedrig ist. In Deutschland wurden 2019 bis Ende Oktober nach Angaben des Bundesinnenministeriums 122.225 Erstanträge auf Asyl gestellt. Und von den wenigen Migranten, die in Italien ankommen, gelangen die wenigsten auf Rettungsschiffen wie der «Ocean Viking», der «Alan Kurdi» oder der «Open Arms» ins Land.

Fast täglich griff die griechische Küstenwache im Herbst Migranten an Bord von Jachten auf, die aus Westgriechenland nach Italien zu kommen versuchten. Aber vielen gelingt es, die Strände Apuliens, Kalabriens oder Siziliens zu erreichen. Von Tunesien aus setzen auch viele Menschen direkt auf die kleine italienische Insel Lampedusa über. Nach einem Bericht der Zeitung «Corriere della Sera» wurde die Ostroute von Griechenland aus zur Hauptroute nach Italien.

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