Israel-Gaza-Krieg

Israel-Krieg: Für Hamas-Geiseln wird «nichts mehr so, wie es war»

Anna Baumert
Anna Baumert

Palestina,

Im Israel-Krieg sollen in den nächsten Tagen insgesamt 50 Geiseln freigelassen werden. Die Rückkehr in den Alltag wird für sie laut Experten sehr schwer.

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Frauen zeigen Fotos von Hamas-Geiseln in Tel Aviv. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Freilassung israelischer Geiseln im Rahmen des Deals mit der Hamas hat begonnen.
  • Sie haben eine traumatische Zeit hinter sich. Die Rückkehr in den Alltag wird wohl schwer.
  • Einem Experten zufolge dürften viele Geiseln ihr Leben nun «von Grund auf ändern».

Im Israel-Krieg hat sich die israelische Regierung mit der Hamas auf einen Deal geeinigt: Die ersten insgesamt 24 Geiseln wurden am Freitag freigelassen. Aber wie geht es danach für die Betroffenen weiter – ist ein normales Leben nach der Geiselhaft überhaupt noch möglich?

Gewaltforscher Dirk Baier von der ZHAW erklärt gegenüber Nau.ch, die Geiseln hätten zunächst mindestens drei Dinge zu verarbeiten: «Einerseits müssen sie nun schon seit Wochen fürchten, selbst getötet zu werden. Dies ist eine kaum vorstellbare Belastung, die hochtraumatisch ist.»

Zweitens hätten die Geiseln beim Terrorangriff am 7. Oktober höchstwahrscheinlich selbst gesehen, wie die Hamas im Israel-Krieg Menschen tötete. «Drittens werden sie sich schon da die Frage gestellt haben, warum sie am Leben bleiben durften. Jetzt werden sie sich fragen, warum gerade sie freigelassen werden.»

Der Experte hält fest: «All das hat zur Folge, dass eine Rückkehr in den Alltag erschwert ist. Einen Alltag, den es zum Teil gar nicht mehr gibt. Weil eben Angehörige getötet wurden, Häuser zerstört sind und so weiter.»

«Nichts mehr so, wie es mal war»

Auch Psychotherapeut und Traumaexperte Christian Lüdke hält fest: «Für die freigelassenen Geiseln wird nichts mehr so, wie es mal war.» Denn die Erfahrungen der Hilflosigkeit, Demütigung und Todesangst hinterlassen Traumata.

Die Geiselhaft im Israel-Krieg habe zwar einen Anfang und ein Ende. «Das Erlebte ist aber im Nervensystem gespeichert. Später kann es durch sogenannte Trigger immer wieder hervorgerufen werden.»

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Die Rückkehr in den Alltag dürfte für die im Israel-Krieg verschleppten Geiseln schwer werden. - keystone

Für die Zeit nach der Freilassung seien Ruhe und Abstand für die ehemaligen Geiseln wichtig, betont Lüdke. Auch Ablenkung könne helfen – als Gegengewicht zur Überflutung mit Adrenalin und Cortisol während der Geiselhaft im Israel-Krieg. Während ersteres das Kampfhormon ist und vor allem in der ersten Zeit der Geiselnahme ausgeschüttet wird, dient zweiteres dem Durchhalten.

Diese bringen körperliche Nebenwirkungen wie Erbrechen mit sich, die auch nach der Freilassung anhalten. «Hier ist es wichtig, sie zu informieren, dass die Symptome eine normale Reaktion auf ein aussergewöhnliches Erlebnis sind», erklärt Lüdke.

Kinder verarbeiten Geiselhaft im Israel-Krieg mit «traumatischem Spiel»

Unter den im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln sind auch viele Kinder – zum Beispiel die neunjährige Emily. «Bei Kindern kann eine traumatische Reaktion stark verzögert auftreten», erklärt der Experte. «Deshalb ist es besonders wichtig, auf Verhaltensänderungen zu achten.»

Dabei gebe es zwei Alarmsignale: Zum einen, wenn das Kind verstummt, zum anderen, wenn es aggressiv wird oder sich selbst verletzt. «Dann braucht es eine Verhaltenstherapie», sagt Lüdke.

Zudem mahnt er Eltern, es zuzulassen, wenn Kinder die Erlebnisse aus der Geiselhaft nachspielen. «Durch traumatisches Spiel entwickeln sie Lösungsfantasien», erklärt er.

Bei Erwachsenen hingegen könne die Geiselhaft eine «traumatische Reifung» auslösen. «Viele Geiseln werden ihr Leben von Grund auf ändern», sagt Lüdke. Denn: «Während sie dem Tod ins Auge sehen, reflektieren viele ihr Leben.» So kann es sein, dass sich eine ehemalige Geisel von ihrem toxischen Ehemann trennt, oder eine neue berufliche Richtung einschlägt.

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«Die Geiseln fangen nun quasi ein neues Leben an», sagt auch Baier. Dafür sei zweierlei nötig: Zum einen müsse das Trauma zusammen mit Therapeutinnen und Therapeuten verarbeitet werden. Zum anderen brauche es ein soziales Netzwerk an Menschen, die «zuhören, verstehen, emotional unterstützen», so Baier.

Jenseits davon werde es wichtig sein, eine gewisse Struktur im Alltag zu etablieren. «Beispielsweise engagieren sich Opfer solcher Ereignisse ehrenamtlich für andere Opfer, gründen Organisationen, die sich für Gutes einsetzen. Das kann für einzelne Geiseln vielleicht eine Option sein, um wieder Sinn im Leben zu finden», sagt Baier.

Kommentare

User #7194 (nicht angemeldet)

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User #7194 (nicht angemeldet)

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