Opfer konfrontieren Christchurch-Attentäter

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In Neuseeland brechen tiefe Wunden wieder auf. Bevor das Urteil gegen den Christchurch-Attentäter gesprochen wird, haben Überlebende und Angehörige der 51 Toten das Wort. Im Gerichtssaal stehen sie dem Rechtsextremisten direkt gegenüber.

Die Polizei sperrt vor dem Obersten Gerichtshof in Christchurch eine Strasse ab. Foto: Martin Hunter/AAP/dpa
Die Polizei sperrt vor dem Obersten Gerichtshof in Christchurch eine Strasse ab. Foto: Martin Hunter/AAP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Vor der Urteilsverkündung gegen den Attentäter von Christchurch haben in Neuseeland Überlebende der verheerenden Anschläge und Angehörige der 51 Opfer das Wort.

Heute wurden vor Gericht 24 teils hochemotionale Erklärungen verlesen, in denen die Betroffenen von den direkten Folgen der Taten auf ihr eigenes Leben berichteten. Bis Donnerstag wollen mehr als 60 Menschen das Wort ergreifen. Dann will Richter Cameron Mander das Urteil verlesen.

Damit möglichst viele Betroffene in Christchurch dabei sein können, hat die Regierung die strikten Corona-Reisebeschränkungen teilweise gelockert. Im Gerichtssaal brechen derweil Wunden wieder auf, manche lesen ihre Statements mit tränenerstickter Stimme - zumal gleichzeitig immer mehr verstörende Details ans Licht kommen: So wurde am Montag auch bekannt, dass der angeklagte Rechtsextremist ursprünglich noch eine weitere Moschee angreifen wollte.

Der 29-Jährige hatte am 15. März 2019 zwei Moscheen attackiert und 51 Gläubige erschossen. 50 weitere Menschen wurden verletzt, teilweise lebensgefährlich. Die Tat übertrug er per Helmkamera im Internet. Die Anschläge von Christchurch gelten als das bislang schwerste Gewaltverbrechen in der jüngeren Geschichte des Pazifikstaates.

Als der aus Australien stammende Attentäter am Morgen mit Fesseln an Händen und Füssen ins Gericht geführt wird, ist es im Saal ganz still. «Nur das Klappern der Ketten war zu hören», sagte eine Reporterin im neuseeländischen Fernsehen. Die Angst war gross, dass Brenton Tarrant den Termin als Bühne für die Verbreitung von rechtsextremistischen Hassreden nutzen könnte. Deshalb werden die Anhörungen auch nicht im Fernsehen übertragen - lediglich für etwa 300 weitere Betroffene in 15 Ländern gibt es einen Live-Stream. Aber auch der Angeklagte blieb still. Zunächst zumindest.

Statt radikaler Parolen sind liebevolle Erinnerungen an Menschen zu hören, die viel zu früh aus dem Leben gerissen wurden. So wie Ozair Kadir aus Indien. Er sei nach Neuseeland gekommen, um sich seinen Lebenstraum zu erfüllen, nämlich Pilot zu werden, erzählt sein Vater. «Er hat seine Heimat am 25. März 2018 auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen. Am 25. März 2019 kam er in einem Sarg zurück.»

Temel Atacocugu hat den Anschlag mit neun Kugeln in seinem Körper überlebt, weil er sich tot stellte. «Ich wusste, dass ich sterben würde, wenn ich mich bewegt hätte.» Sechs Kugeln konnten entfernt werden, drei nicht. Atacocugu ist seit dem Massaker arbeitsunfähig. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals wieder ohne Schmerzen leben werde.» Die Opfer haben Wurzeln unter anderem in Bangladesch, Syrien oder Pakistan. Manche lebten seit vielen Jahren in Neuseeland, andere erst seit ein paar Wochen.

Janna Ezats Sohn Hussein Al-Umari hat den Kugelhagel an jenem verhängnisvollen Tag nicht überlebt. «Ich weine jeden Tag um ihn», sagt sie. Dann schaut sie dem Mörder ihres Sohnes direkt in die Augen und sagt, sie habe nur eine Wahl: «Dir zu vergeben.» Es sei das einzige Mal an diesem Tag gewesen, dass der Angeklagte eine Art von Emotion gezeigt habe, beschrieben Beobachter den Moment.

Die meiste Zeit schaute er sich jedoch ungerührt im Gerichtssaal um und bestätigte Richter Mander noch einmal, dass er auf Anwälte verzichten und sich selbst vertreten wolle. Vor der Urteilsverkündung soll auch er zu Wort kommen.

Am Montag rekonstruierte aber zunächst Staatsanwalt Barnaby Hawes den Tathergang - und nannte bislang unbekannte Details. So habe der Täter mehrere Waffen modifiziert, um schneller schiessen zu können - und um die grösstmögliche Zahl von Muslimen zu töten. Nach den Angriffen in der Al-Nur-Moschee im Stadtteil Riccarton und im Linwood Islamic Centre habe er noch zu einer dritten Moschee in Ashburton, etwa eine Stunde südlich der Stadt, fahren wollen, so Hawes. Zudem habe er geplant, die Moscheen in Brand zu setzen. Zuvor sei der Extremist aber von der Polizei gefasst worden.

Ihm werden 51 Morde, 40 versuchte Morde sowie Terrorismus zur Last gelegt. Weil er sich im März überraschend in allen Punkten schuldig bekannt hatte, entfiel ein Prozess. Dem Australier droht eine lebenslange Haftstrafe, möglicherweise ohne Chance auf vorzeitige Entlassung - so ein Urteil hat es in Neuseeland bisher noch nicht gegeben.

Aber auch von Helden ist an diesem Tag die Rede. Helden wie Naeem Rashid. Als der Attentäter in der Al-Nur-Moschee wahllos auf die Gläubigen schoss und diese in alle Richtungen zu fliehen versuchten, rannte Rashid direkt auf den Schützen zu. Der feuerte auf ihn und traf ihn an der Schulter. Rashid aber rannte weiter und schaffte es, den Angreifer auf ein Knie zu zwingen. Der kam zwar kurze Zeit später wieder auf die Füsse, ging einige Schritte zurück und erschoss Rashid - aber dank seines Mutes gewannen einige Moschee-Besucher wichtige Zeit, die ihnen das Leben rettete.

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