Suga ist neuer Regierungschef in Japan
Japans neuer starker Mann heisst Yoshihide Suga. Der 71-Jährige tritt die Nachfolge von Shinzo Abe an - und erbt grosse Herausforderungen. Suga gilt als Pragmatiker, der bislang unter dem Radar bereits kleinere Reformen umsetzte. Kann er Japan aus der Krise führen?
Das Wichtigste in Kürze
- Der 71 Jahre alte Yoshihide Suga hat die Nachfolge von Shinzo Abe als japanischer Ministerpräsident angetreten und will sein Land mit überwiegend altbekannten Gesichtern aus der Krise führen.
Japans ältester Premier seit rund 30 Jahren wurde wie erwartet mit der Mehrheit seiner regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) und ihres Juniorpartners Komeito vom Parlament gewählt.
Von den 20 Mitgliedern seines Kabinetts dienten 15 bereits zuvor unter Abe, der nach einer Rekordamtszeit von fast acht Jahren aus Gesundheitsgründen zurücktrat.
Suga, der dem rechtskonservativen Abe all die Jahre als rechte Hand in der Position des Kabinettsekretärs und des Regierungssprechers diente, will Abes Politik fortsetzen und damit für Kontinuität und Stabilität im Land sorgen. Zugleich will er den Fokus aber auf den wirtschaftlichen Reformprozess verlagern.
Suga, der das Image eines «self made»-Mannes pflegt und dessen Motto «Wo ein Wille ist, ist ein Weg» lautet, steht vor einer Reihe grosser Herausforderungen. Die Nummer drei der Weltwirtschaft, die sein Vorgänger Abe mit seiner «Abenomics» genannten Wirtschaftspolitik aus expansiver Geldpolitik, schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen und dem Versprechen von Reformen aus der Stagnation holen wollte, fiel im Zuge der Coronakrise in die schwerste Krise der Nachkriegszeit.
Die versprochenen grossen Strukturreformen blieben unter Abe nach Meinung von Beobachtern zwar aus. Zugleich aber gab es mehrere kleinere Reformen, für deren Ausarbeitung und schwierige Umsetzung Suga zuständig war: Vom Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union über eine Reform des Sozialversicherungssystems, der Wiederbeschäftigung von älteren Bürgern bis hin zu einer Agrarreform.
«Suga war der Garant für die Umsetzung dieser Reformen», erklärte Martin Schulz, Chefökonom beim Technologiekonzern Fujitsu der Deutschen Presse-Agentur in Tokio. Als Kabinettssekretär hatte Suga - Träger des schwarzen Gürtels im japanischen Kampfsport Karate - im Hintergrund mit eiserner Hand die Bürokratie unter seine Kontrolle gebracht, um Politik effektiver durchsetzen zu können. So sorgte er für die Förderung von Agrarexporten und eine Senkung der Mobilfunktarife. Auch den Boom an ausländischen Touristen, der bis zur Pandemie viel Geld ins Land brachte, schreibt er sich zugute.
Die Erkenntnis, dass in einer Gesellschaft wie Japan, die so rasant altert wie keine andere Industrienation «Produktivität und stabiles Wachstum am wichtigsten sind, wird den neuen Wirtschaftskurs bestimmen», ist sich Schulz sicher. So hat Suga angedeutet, dass es eine Reform bei den vielen Regionalbanken geben müsse. Zudem kündigte er als einen ersten Schritt eine Behörde für Digitalisierung an, um den Rückstand der Hightechnation bei der Digitalisierung aufzuholen. Den neu geschaffenen Posten des Digitalministers gab er Takuya Hirai.
Ein weiterer Neuzugang im Kabinett ist der frühere Vize-Aussenminister Nobuo Kishi (61), der das Verteidigungsressort übernimmt. Er ist Abes jüngerer Bruder. Der inzwischen 79 Jahre alte Finanzminister Taro Aso bleibt dagegen genauso im Amt wie Aussenminister Toshimitsu Motegi (64) sowie Olympia-Ministerin Seiko Hashimoto und Justizministerin Yoko Kamikawa. Sie sind die beiden einzigen Frauen in Sugas Kabinett.
Auch aussenpolitisch sieht sich Suga, der bisher kaum ins Ausland gereist ist, vor einer Reihe grosser Herausforderungen. Dazu zählen das Machtstreben des Nachbarn China in der Region, die Bedrohung durch Nordkoreas Raketen- und Atomprogramm und die schwer belasteten Beziehungen zu Südkorea. Auch mit Russland liegt Japan seit Jahrzehnten im Streit um die Kurilen-Inseln im Pazifik. Zudem muss Suga ein gutes Verhältnis zum Gewinner der US-Präsidentenwahl aufbauen.
Dabei hatte sich bis vor kurzem kaum jemand vorstellen können, dass ein Mann wie Suga von der LDP einmal zum Partei - und damit zum Regierungschef gewählt werden würde. Schliesslich entstammt er anders als Abe und seine Vorgänger keiner der für die LDP prägenden Politikerdynastien. Sein Vater war Erdbeerzüchter, seine Mutter Lehrerin. Statt wie erhofft den landwirtschaftlichen Familienbetrieb in einem Dorf in Akita im kalten Norden Japans zu übernehmen, ging der junge Suga nach Tokio und arbeitete dort zunächst in einer Kartonfabrik. Später studierte er Jura, arbeitete als Sekretär eines Abgeordneten und wurde mit 47 Jahren erstmals ins Parlament gewählt.
Suga ist der breiten Öffentlichkeit erst seit April vergangenen Jahres so richtig bekannt, als er den Namen der neuen Kaiserära «Reiwa» verkündete und dadurch den Spitznamen «Onkel Reiwa» bekam. Dass er an die Spitze der Macht gelangte, verdankt er einflussreichen parteiinternen Machtgruppen. Diese hatten ihn zu Wochenbeginn bereits zum Vorsitzenden der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) als Nachfolger von Abe gewählt. Angesichts einer zweiten Corona-Infektionswelle wollte man schnell wieder für Kontinuität und Stabilität sorgen. Dafür erschien Suga der richtige Mann. Der «workaholic» geniesst ausserdem derzeit grosse Unterstützung im Volk.
Glückwünsche aus dem Ausland kamen unter anderem von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Schon seit vielen Jahre gestalte Suga «Japans Politik und damit auch die engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern in wichtigen Ämtern mit», heisst es in einem Schreiben vom Mittwoch. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin gratulierte und würdigte den neuen japanischen Regierungschef als «grosse Autorität». Aus dem Weissen Haus hiess es, die Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Japan sei noch nie so stark gewesen wie heute. «Präsident Trump freut sich, mit Premierminister Suga zusammenzuarbeiten, um sie noch stärker zu machen», erklärte Sprecherin Kayleigh McEnany.
Wie lange Suga im Amt bleiben kann, bleibt abzuwarten. Offiziell führt er Abes restliche Amtszeit als LDP-Vorsitzender - und damit als Regierungschef - zu Ende, die noch bis September 2021 läuft. Ob Suga über diesen Termin hinaus an der Macht bleiben kann, könnte davon abhängen, wann er Neuwahlen zum Parlament ausrufen wird. Es gibt Spekulationen, dass es dazu schon im nächsten Monat kommen könnte.