Selten war vor einer Bundestagswahl so unklar, welche Regierung herauskommt. Es gibt kaum Gewissheit, was die eigene Stimme bewirkt. Es gibt wahrscheinliche Szenarien - und mögliche Überraschungen.
Eine Ampel zeigt am frühen Morgen die Farben rot, gelb und grün. Foto: Marijan Murat/dpa
Eine Ampel zeigt am frühen Morgen die Farben rot, gelb und grün. Foto: Marijan Murat/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Wählerinnen und Wähler müssen bei dieser Bundestagswahl mit besonders grosser Ungewissheit leben. Zu welcher Regierung sie mit ihrer Stimme beitragen, ist völlig offen.
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Die Zahl realistischer oder möglicher Koalitionen ist gross.

Klar scheint die Sache für Anhänger von Olaf Scholz oder Armin Laschet - jede Stimme für SPD oder Union bringt den eigenen Kandidaten näher ans Kanzleramt. Für die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock hingegen scheint das Kanzleramt gemessen an den Umfragen kaum noch erreichbar.

Doch in welchem Bündnis könnten Scholz oder Laschet regieren? Und wie sicher können die Wählerinnen und Wähler von Grünen oder FDP sein, dass ihre präferierten Parteien eine bestimmte Koalition eingehen? Eine Übersicht über die möglichen Bündnisse zeigt die greifbaren Szenarien:

Ampel:

Wenn die SPD stärkste Kraft wird, wird Scholz das Kanzleramt beanspruchen und mit den Grünen koalieren wollen. SPD und Grüne sind sich erklärtermassen jeweils die liebsten Partner. Wenn es für Rot-Grün nicht reicht, wird Scholz ein Dreierbündnis mit Christian Lindners FDP schmieden wollen. Doch Lindner zieht klar Laschets Union als möglichen Regierungspartner vor. Die Vorfreude auf ein mögliches Bündnis mit den als Verbotspartei geltenden Grünen und der SPD hält sich bei vielen Freidemokraten in engen Grenzen.

Auffällig ist deshalb Scholz' Charmeoffensive der vergangenen Wochen: So schlug sich der SPD-Mann beim Knackpunkt Finanzen auf die Seite der FDP und erteilte einer Reform der Schuldenbremse, wie die Grünen sie wollen, eine Absage. Demonstrativ zeigte Scholz auch Verständnis für den spektakulären Schritt der FDP 2017, als Lindner die damaligen Jamaikaverhandlungen platzen liess. Union und Grüne - so Scholz - hätten damals zu zweit verhandelt und die FDP dann vor vollendete Tatsachen gestellt. SPD-Vize Kevin Kühnert kritisierte Lindner kurz vor der Wahl in einem Interview hingegen als «Luftikus». Ein Vorbild für eine Ampel gibt es: Rheinland-Pfalz.

Jamaika:

Eine Regierung aus Union, Grünen und FDP in Jamaikas Flaggenfarben dürfte für Laschet die wahrscheinlichste Chance bieten, das Kanzleramt nach 16 Jahren Angela Merkel zu verteidigen. Gelingt es der Union, am Ende wenn auch knapp vor der SPD zu liegen, würde Laschet daraus voraussichtlich einen Regierungsauftrag ableiten und versuchen, mit Grünen und FDP zu sondieren. Laschet setzt darauf, dass Lindner und die meisten Anhänger der Liberalen lieber mit der Union als mit der SPD regieren würden. Als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen führt der CDU-Chef bereits eine Koalition mit der FDP - obwohl diese nur eine Ein-Stimmen-Mehrheit hat. 

Auch bei den Grünen hat Schwarz-Grün-Gelb Befürworter. Dieses Bündnis würde Brücken schlagen zwischen gesellschaftlichen Lagern, heisst es. Ein harter Knochen wäre aus Grünen-Sicht hier aber die Haushalts- und Finanzpolitik. Hinzu kommt: Jamaika wäre mit CDU und CSU de facto ein Viererbündnis - und wer weiss schon, in welcher Verfassung die beiden Schwesterparteien sich an den Verhandlungstisch setzen, wenn sie ein historisch schlechtes Ergebnis einfahren würden? Ausgeschlossen ist auch nicht, dass Laschet als knapp Zweitplatzierter Jamaika versuchen würde.

Rot-Grün-Rot:

Scholz könnte im Fall eines Sieges bei zu heftiger liberaler Ampelskepsis auch auf das Bündnis ausweichen wollen, vor dem die Union seit Wochen so lauthals warnt. Schnittmengen gäbe es in dieser Konstellation reichlich - etwa in sozialen Fragen. Die Jusos fordern, Rot-Grün-Rot auf jeden Fall auszuloten. Es bleiben aber weitreichende Differenzen in der Aussenpolitik, wo die Linke zum Beispiel ein Ende aller Auslandseinsätze und eine Auflösung der Nato fordert. Dass die Linksfraktion vor Kurzem nicht einmal dem Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Kabul zustimmte, ist kein ermutigendes Signal.

Scholz betonte zuletzt gebetsmühlenartig, dass ohne Bekenntnis zur Nato und anderem keine Regierung denkbar sei. Bei den Linken gibt man sich regierungswillig, zeigt sich kompromissbereit und bereitet mögliche Sondierungen intern vor. Doch selbst wenn die Linkspartei von für die Partner problematischen Forderungen abrücken würde: Nicht nur bei den Grünen fürchten viele, ein solches Bündnis könnte die Gesellschaft spalten und Union und FDP in eine andauernde Blockadehaltung treiben. 

Andere Varianten:

So neu eine Ampel, Jamaika oder Rot-Rot-Grün im Bund mit SPD oder CDU als Kanzlerpartei wären - die Parteien könnten möglicherweise noch gewöhnungsbedürftigere Schritte gehen. So ist denkbar, dass Laschet oder Scholz auch dann eine Koalition zu schmieden versuchen, wenn sie nicht den ersten Platz belegen - vor allem dann, wenn der Unterschied klein bleibt.

Nicht ausgeschlossen sind zudem anderen Bündnisse - etwa eine sogenannte Deutschland-Koalition. So ein Regierungsbündnis von CDU/CSU, SPD und FDP könnte etwa zum Zug kommen, wenn Jamaika an den Grünen scheitert. Sie gilt aber als sehr unwahrscheinlich, da die SPD nicht mehr mit der Union koalieren möchte. Das gilt ebenso für eine Neuauflage von Rot und Schwarz zusammen. Auch ein Bündnis aus Union, SPD und Grünen in den Farben Kenias gilt als denkbar, aber unwahrscheinlich. Ins Spiel kommen könnte Kenia bei schwierigen Verhandlungen mit der FDP über eine Ampel. Von den Umfragen her nicht greifbar scheinen schliesslich Schwarz-Grün oder eben Rot-Grün - inhaltlich wären die Varianten hingegen denkbar bis naheliegend.

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