Wenn Ärzte auf ihren Seiten ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren, machen sie sich bislang strafbar. SPD, Grüne und FDP haben nun beschlossen, den entsprechenden Paragrafen abzuschaffen.
Demonstranten fordern die Abschaffung des Paragrafen 219a StGB (Archivbild). Die Ampel-Parteien wollen den Paragrafen streichen. Foto: Boris Roessler/dpa
Demonstranten fordern die Abschaffung des Paragrafen 219a StGB (Archivbild). Die Ampel-Parteien wollen den Paragrafen streichen. Foto: Boris Roessler/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • So lange hatte Kristina Hänel dafür gekämpft - und jetzt steht es schwarz auf weiss im Ampel-Koalitionsvertrag: «Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen.»
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Paragraf 219a soll aus dem Gesetzbuch verschwinden. Jener Paragraf also, der es Medizinerinnen wie Kristina Hänel bislang verbietet, öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche aufzuklären.

Es habe einen Moment gedauert, bis sie «die Bedeutung wirklich realisieren konnte», schreibt die deutschlandweit bekannte Ärztin am Donnerstag auf dpa-Anfrage. Für ein spontanes Telefonat hat sie wegen der nun auf sie einprasselnden Anfragen nur knapp eine Minute Zeit. Viel zu wenig, um das zu vermitteln, was die geplante Streichung von Paragraf 219a für sie und zehntausende Frauen in Deutschland bedeutet.

«Ich bin sehr froh und erleichtert, dass damit der Weg frei wird, eine informierte Entscheidungsfindung beim Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen», schreibt sie und verweist darauf, dass bald hunderte Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sowie Kliniken wieder «ihre sachlichen und seriösen Informationen ins Netz stellen» könnten, ohne Strafanzeigen zu befürchten. Denn genau das sieht Paragraf 219a bislang vor, Werbung für den Abbruch von Schwangerschaften ist in Deutschland bislang verboten.

Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2019 dürfen Praxen zwar, etwa auf ihrer Webseite, darüber informieren, dass sie solche Eingriffe vornehmen. Weitere Auskünfte, beispielsweise über die Art der Abbrüche, bleiben aber untersagt.

Das wurde Hänel im November 2017 zum Verhängnis. Das Amtsgericht Giessen verurteilte die Giessener Ärztin damals zu einer Geldstrafe, weil sie auf ihrer Seite ausführlich informiert hatte. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, der bis heute anhält. Sie und ihre Berliner Kollegin Bettina Gaber haben beim Bundesverfassungsgericht Beschwerden gegen den Paragrafen 219a eingelegt.

«Ich bin sehr erleichtert, dass ich mich künftig wieder mehr meiner inhaltlichen Arbeit als Allgemeinärztin und Reittherapeutin widmen kann», schreibt Hänel. Sie hoffe nun auf eine bessere Versorgung von Frauen. Und dass von Strafverfolgung Betroffene wie sie künftig «nicht mehr so massiv den irrigen und verletzenden Webseiten der sogenannten Abtreibungsgegner ausgesetzt» seien.

Auf eine bessere Bedingungen für Ärzte und Patientinnen hofft auch der Berufsverband der Frauenärzte. Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche hält der Verband an sich für richtig, wie Verbandspräsident Christian Albring auf dpa-Anfrage schreibt. Ärztinnen und Ärzte müssten aber davon ausgenommen sein und ihre Patientinnen umfassend informieren dürfen, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen, sagt Albring.

Mit der geplanten Streichung von Paragraf 219a setzen die Ampel-Parteien ein Zeichen. Ausserdem halten sie fest: «Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein.» Immer wieder hatten Ärzte in der Vergangenheit Sorge darüber geäussert, dass das Handwerk nicht mehr richtig weitergegeben werde - auch wegen der Tabuisierung. Die flächendeckende Versorgung mit Beratungsstellen für betroffene Frauen wollen SPD, Grüne und FDP ebenfalls sicherstellen.

Auch sonst schlägt die Ampel in der Gesellschaftspolitik neue Töne an, die Verbände als fortschrittlich begrüssen. So wollen die drei Parteien etwa das Transsexuellengesetz abschaffen, das von vielen Transmenschen bislang als demütigend empfunden wurde, und durch ein «Selbstbestimmungsgesetz» ersetzen. Der Bundesverband Trans* e.V. sieht darin einen «historischen Schritt». Noch nie habe sich ein Koalitionsvertrag «in dieser Ausführlichkeit» mit den Belangen dieser und anderer Minderheiten befasst, schreibt der Verband.

Beispiele gibt es einige: Etwa, dass künftig das Blutspendeverbot für Transpersonen und Männer, die Sex mit Männern haben, Geschichte sein soll.

Auch für lesbische Paare gibt es eine wichtige Neuerung: «Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist», heisst es im Vertrag der drei künftigen Regierungsparteien, die sich, glaubt man ihren Zielen und Forderungen, dem Kampf gegen Diskriminierung und der Gleichstellung der Geschlechter in besonderer Weise verpflichtet fühlen.

Bei den Patientinnen der Giessener Ärztin sind die Pläne bereits angekommen. Die erste Frau, die am Morgen wegen einer ungewollten Schwangerschaft in ihre Praxis gekommen sei, habe ihr direkt zur geplanten Streichung von 219a gratuliert, sagt Hänel.

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