Angehörige von Corona-Toten in Italien reichen Klage ein
In Italien haben 50 Angehörige von Opfern der Corona-Pandemie Strafanzeige wegen des Umgangs mit der Krise erstattet.
Das Wichtigste in Kürze
- Sammelklage in Bergamo soll Verantwortung für die vielen Toten klären.
Die Sammelklage gegen Unbekannt wurde am Mittwoch bei der Staatsanwaltschaft der besonders schwer betroffenen Stadt Bergamo in der Lombardei eingereicht, weil diese zum Symbol der landesweiten Corona-Welle wurde, wie Mitinitiator Stefano Fusco sagte. Weitere 150 Klagen seien in Vorbereitung.
Fusco hatte nach dem Tod seines Grossvaters im März in einem Pflegeheim die Facebook-Gruppe «Wahrheit und Gerechtigkeit für die Opfer von Covid-19» gegründet, um mit anderen Angehörigen Kontakt aufzunehmen, die ähnliche Dramen erlebt haben. Inzwischen hat die Gruppe 55.000 Mitglieder. «Wir wollen keine Rache, wir wollen Gerechtigkeit», sagte der 31-Jährige.
Bei der Staatsanwaltschaft in Bergamo laufen bereits weitere Verfahren wegen der vielen Corona-Toten seit Ausbruch der Epidemie im Februar. Örtliche Familien werfen den Behörden der Region Lombardei unter anderem vor, Sperrzonen zu spät eingerichtet und durch jahrelange Kürzungen im Gesundheitswesen die Krise verschärft zu haben.
Bei den nun eingereichten Klagen geht es auch um einzelne Schicksale inmitten der Krise. Die Apothekerin Cristine Longhini etwa erzählt, wie der Rettungsdienst sich zunächst weigerte, ihren schwer kranken Vater Claudio ins Krankenhaus zu bringen, solange er keine massiven Atemprobleme habe. Als der 65-Jährige schliesslich in eine Spezialklinik für Covid-19-Patienten nach Bergamo gebracht wurde, gab es auf der Intensivstation kein freies Bett mehr.
Als er starb, «vergassen sie, uns zu informieren», berichtet Longhini. Und als die 39-Jährige ins Krankenhaus musste, um ihren Vater zu identifizieren, «gaben sie mir seine persönlichen Gegenstände in einem Müllsack, darunter seine kontaminierte, blutige Kleidung».
Wegen der überfüllten Friedhöfe wurde der Sarg mit der Leiche von Longhinis Vater per Armeelastwagen weggebracht. Wohin er gebracht wurde, erfuhr die Familie erst, als sie die Rechnung eines 200 Kilometer entfernten Krematoriums erhielt. Sie habe sich nun zu der Klage entschlossen, weil sie und ihre Mitstreiter denken, dass die Krise nicht «angemessen gehandhabt wurde», sagt Longhini. «Niemand übernimmt Verantwortung, niemand hat sich entschuldigt.»
Diego Federici, der beide Eltern verlor, betont, es gehe bei der Anzeige nicht um Geld: «Wir wollen keine Entschädigung. Keine Geldsumme kann mir meine Eltern zurückgeben.» Der 35-Jährige und seine Mitkläger wollten vielmehr, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und «dass so etwas nie mehr geschehen kann».
Ähnlich äusserte sich auch Laura Capella. Die 57-Jährige fängt an zu weinen, als sie vom Tod ihres Vaters erzählt, der auf völlig überforderte Ärzte traf. Er sei gestorben, «ohne dass ich mich von ihm verabschieden konnte», sagt sie. «Wir wurden im Stich gelassen, und wir fühlen uns immer noch im Stich gelassen.»
Im Zuge einer anderen Untersuchung will die Staatsanwaltschaft von Bergamo unter anderem Regierungschef Giuseppe Conte befragen, wie italienische Medien am Mittwoch berichteten. Auch in diesem Fall geht es um den Umgang der Regierung mit der Corona-Krise. Auch Gesundheitsminister Roberto Speranza und Innenministerin Luciana Lamorgese sollen demnach befragt werden.