Ausschluss vom Arbeitsmarkt schadet der Integration langfristig
Das Wichtigste in Kürze
- Viele Länder Europas schliessen Geflüchtete für eine gewisse Zeit vom Arbeitsmarkt aus.
- Flüchtlingen mit längeren Wartezeiten fällt es schwerer, eine Anstellung zu finden.
Die meisten europäischen Länder schliessen Geflüchtete für eine gewisse Zeit vom Arbeitsmarkt aus. Dafür zahlen sie einen viel höheren Preis als sie glauben. Das zeigt eine neue Studie der ETH Zürich und der Stanford University, die sich ein natürliches Experiment in Deutschland zunutze gemacht hat.
Auf der einen Seite steht die Angst der Bürger vor Verdrängung am Arbeitsmarkt, auf der anderen Seite das Bestreben, Geflüchtete möglichst gut zu integrieren. Viele europäische Länder fahren eine Politik des Kompromisses, indem sie Geflüchtete für eine gewisse Zeit vom Arbeitsmarkt ausschliessen. Das macht sie aber finanziell abhängig vom Staat.
Wie viel kostet dieser Kompromiss? Und was bedeuten längere oder kürzere Wartezeiten für die Integration Asylsuchender? Das hat ein Forschungsteam des Immigration Policy Laboratory (IPL) der ETH Zürich und der Stanford University am Beispiel Deutschlands ermittelt. Dort konnten sie sich ein natürliches Experiment zunutze machen: Im Jahr 2000 wurde das Arbeitsverbot für Asylsuchende in Deutschland nämlich auf zwölf Monate verkürzt.
Verkürzung erlaubte Vergleich
Geflüchtete, die im Jahr 2000 aus Ex-Jugoslawien nach Deutschland kamen, mussten demnach nur noch zwölf Monate nach ihrer Ankunft warten. Jene, die 1999 ankamen, unterlagen je nach Ankunftszeitpunkt einer Arbeitssperre zwischen 13 und 24 Monaten. Dies erlaubte den Forschenden einen Vergleich von zwei Gruppen: eine mit langen und eine mit kürzeren Wartezeiten.
Wie die Wissenschaftler um Dominik Hangartner vom IPL im Fachblatt «Science Advances» berichten, fiel es den Geflüchteten mit längeren Wartezeiten offenbar deutlich schwerer, eine Anstellung zu finden.
Direkt nach Ablauf der Sperre war zwar die Erwerbstätigenquote in beiden Gruppen tief, die Gruppe mit kürzeren Wartezeiten zog jedoch relativ bald vorneweg, wie die Stanford University am Mittwoch in einer Mitteilung festhält: Fünf Jahre später war fast die Hälfte der Geflüchteten mit kürzerer Wartezeit erwerbstätig, bei denen mit längerer Wartezeit nur 29 Prozent. Erst 2010 schaffte es letztere Gruppe, aufzuholen.
Hätten auch die 40'500 Personen aus Ex-Jugoslawien, die 1999 nach Deutschland kamen, bereits von der verkürzten Wartezeit profitiert und eine ähnliche Erwerbstätigenquote wie die Asylsuchenden aus dem Jahr 2000 erreicht, hätte der deutsche Staat rund 40 Millionen Euro pro Jahr sparen können. Dies aufgrund tieferer Sozialabgaben und höherer Steuereinnahmen.
Wirtschaftliche Gründe ausgeschlossen
Aber wie kann ein Unterschied von durchschnittlich nur sieben Monaten zusätzlicher Wartezeit einen so starken Effekt auf die Erwerbstätigenquote haben? Dass es wirtschaftliche Gründe dafür gab, konnten die Wissenschaftler relativ gut ausschliessen: Personen aus Ex-Jugoslawien, die 2001 als Asylsuchende ankamen, hatten ähnliche Erwerbstätigenquoten wie die aus dem Jahr 2000.
Ausserdem stellten die Forschenden keinen Unterschied zwischen Immigranten aus der Türkei fest, die in den Jahren 1999 und 2000 nach Deutschland kamen. Da sie nicht als Asylsuchende einreisten, waren sie von der Arbeitssperre nicht betroffen.
Stattdessen sehen die Wissenschaftler den Grund im demotivierenden Effekt der langen Arbeitssperre. Dieser sei auch durch die Verkürzung im Jahr 2000 nicht plötzlich verschwunden.
«Arbeitsverbote sind kurzsichtig», kommentierte Studienautor Moritz Marbach laut einer Medienmitteilung der ETH Zürich. «Anstelle Geflüchtete jahrelang vom Sozialstaat abhängig zu machen, sollten Länder wie Deutschland ihre Anfangsmotivation nutzen und Geflüchtete rasch in den Arbeitsmarkt integrieren.»
Dass Geflüchtete die Bevölkerung am Arbeitsmarkt nicht verdrängen oder die Löhne drücken, hatten frühere Studien bereits gezeigt, wie die Stanford University schrieb. Viele Politiker hielten dennoch an der Arbeitssperre fest, um ihre Wählerschaft zu beruhigen. Dieser Schuss könne jedoch nach hinten losgehen: Geflüchtete würden dann vermehrt als Belastung für den Sozialstaat angesehen.