Die deutsche Autoindustrie, die 770'000 Menschen beschäftigt und 17 Prozent der Exporte ausmacht, steht aktuell vor grossen Herausforderungen.
Deutsche Autoindustrie
Die deutsche Autoindustrie steht aktuell vor grossen Herausforderungen. Foto: Sebastian Gollnow/dpa - dpa-infocom GmbH

Die deutsche Vorzeigeindustrie steckt in der Krise. Die Stimmung der Autobauer ist schlecht, Platzhirsch VW baut Jobs ab. Doch wie ernst ist die Lage? Ein Überblick.

Sie gilt als Schlüsselbranche in Deutschland: 770'000 Menschen arbeiten in der deutschen Autoindustrie. Gemessen am Umsatz ist sie mit Abstand die grösste Industriebranche im Land, 17 Prozent der deutschen Exporte entfielen laut Statistischem Bundesamt 2023 allein auf Autos und Teile. Doch die Konzerne stecken in der Krise.

Erstmals seit 30 Jahren könnte es bei Volkswagen zu betriebsbedingten Kündigungen und Werksschliessungen kommen. Das könnte nur die Spitze des Eisberges sein, befürchten Experten. Wo hakt es? Ein Überblick:

Deutliche Gewinnrückgänge

Die deutschen Hersteller kämpfen mit schwachen Absatzzahlen und den hohen Kosten für den Umstieg auf den E-Antrieb. Das lässt die Gewinne wegschmelzen. Volkswagen meldete im ersten Halbjahr 14 Prozent weniger Überschuss, bei BMW ging es um fast 15 Prozent nach unten, bei Mercedes-Benz um fast 16 Prozent.

Alle drei mussten ihre Gewinnziele fürs Gesamtjahr bereits kappen, zuletzt BMW am Dienstag. Und die Stimmung ist düster. Die Branche blickt nach Darstellung des Münchener Ifo-Instituts voller Sorge in die Zukunft.

Im Schnitt waren die deutschen Werke von Volkswagen, BMW, Mercedes & Co. im vergangenen Jahr nur zu etwas mehr als zwei Dritteln auslastet, so der Datenspezialist Marklines. 6,2 Millionen Autos pro Jahr könnten alle Standorte zusammen liefern. Geschafft wurden 2023 nur gut 4,1 Millionen.

Produktion sinkt um 23 Prozent, Personal nur um 8 Prozent

Die Industrie baue mit hohem Personalaufwand viel weniger Autos als früher, sagt Analyst Eric Heymann von Deutsche Bank Research. Während die Produktion 23 Prozent unter früheren Höchstwerten liege, sei die Zahl der Beschäftigten nur um acht Prozent geschrumpft. Das mache die Werke unproduktiver.

Bei den Automobilzulieferern mit noch etwa 270'000 Beschäftigten (2018 waren es etwa 311'000) ist die Krise längst angekommen. Schliesslich bestellen die Autobauer nach Auftragslage. Laut einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Horvath plant eine Mehrheit von 60 Prozent der Unternehmen einen moderaten Stellenabbau.

So hat ZF angekündigt, bis Ende 2028 in Deutschland zwischen 11'000 und 14'000 Stellen zu streichen. Continental will sein Autozuliefergeschäft womöglich komplett abspalten und an die Börse bringen.

Nach Material- und Lieferengpässen wächst die Nachfrageproblematik

Während sich zumindest Material- und Lieferengpässe zuletzt weitgehend aufgelöst haben, sind nach Ansicht des Verbands der Automobilindustrie (VDA) die Probleme bei der Nachfrage gewachsen. «Die schwierige gesamtwirtschaftliche Lage beeinträchtigt das Konsumverhalten der Verbraucher und sorgt für eine vergleichsweise schwache Pkw-Nachfrage», sagt eine VDA-Sprecherin.

Die deutschen Hersteller trifft es doppelt hart. Denn gleichzeitig drängten neue Wettbewerber wie Tesla und Hersteller aus China in den Markt. Folge: Der Marktanteil der hiesigen Autobauer sinkt.

Die Krise der Autoindustrie legt nach Einschätzung von Experten schonungslos die Schwächen des Standorts Deutschland offen. Die deutsche Industrieproduktion liege viereinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie immer noch zehn Prozent hinter Vor-Corona-Niveau, sagt ING-Volkswirt Carsten Breszki.

Autoindustrie mit schwachen Exportperspektiven konfrontiert

Das alte Geschäftsmodell mit billiger Energie und leicht zugänglichen grossen Exportmärkten funktioniere nicht mehr. Angesichts der nachlassenden Dynamik in den USA und China sowie zusätzlichen Handelsspannungen bleibe nur wenig Hoffnung auf eine starke exportgetriebene Erholung.

Der Export galt lange als wichtigster Treiber der deutschen Autoindustrie. Von den 4,1 Millionen Autos, die 2023 in Deutschland produziert wurden, gingen laut VDA 3,1 Millionen – also rund drei Viertel – ins Ausland.

Doch, so warnt eine VDA-Sprecherin: «Die Gewichte im Weltmarkt verschieben sich.» Während die angestammten Märkte in Europa und Nordamerika schrumpfen, gibt es hohe Zuwächse in China und Indien – die immer öfter von örtlichen Konkurrenten bedient werden.

China's BYD verdrängt VW als Marktführer

Zugleich drängen die in Deutschland früher belächelten Hersteller auch nach Europa. In China hat der dortige Autobauer BYD die Marke VW bereits als Marktführer abgelöst. «Vor dem Hintergrund der grossen Investitionen in die Zukunftstechnologien stehen die Unternehmen in einem intensiven Wettbewerb», sagt die VDA-Sprecherin.

«Dabei investieren einige Unternehmen vor allem massiv in die Transformation, andere wollen Märkte erschliessen – beides sind grosse Anstrengungen.» Die deutschen Hersteller tun sich hier oft schwerer als neue Herausforderer, die voll auf Elektro setzen.

Deutsche Autohersteller haben weiterhin alle Chancen im globalen Wettbewerb

Nach Ansicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben die deutschen Automobilhersteller weiterhin «alle Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten».

«Dafür müssen sich die Automobilhersteller jedoch neu erfinden und ihre Innovationsstärke verlagern und nutzen, um den Umstieg auf E-Mobilität und autonomes Fahren schneller und besser umzusetzen», sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher der dpa. «Die Behauptung, der Verbrennungsmotor sei zukunftsfähig, ist ein gefährlicher Irrglaube.» Die Entscheidung für das Elektroauto sei weltweit längst gefallen.

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