Beginnt die Schule morgens zu früh?
Mathe-Schulaufgabe morgens um 8.00 Uhr -für manch einen ein Horror. Todmüde quält man sich von Aufgabe zu Aufgabe, die Gedanken sind schwerfällig und zäh. Könnte die Schule doch bloss später starten - oder doch nicht?
Das Wichtigste in Kürze
- Haben Sie Teenager zu Hause? Dann kennen Sie folgende Situation vielleicht: 6.45 Uhr morgens, der Wecker klingelt.
Alle werden wach, nur der schwerpubertierende Sohn oder die Tochter dreht sich um und schläft ungerührt weiter.
Um sie wachzukriegen, bedarf es anderer Methoden. Decke wegziehen etwa oder laute Schlagermusik. Die Reaktion: Wütender Protest. Für viele Jugendliche ist das frühe Aufstehen zur Schulzeit eine Qual. Kein Wunder, liegen sie am Wochenende doch gerne mal bis mittags im Bett. Was tun? Den Schulbeginn auf später verlegen? Klingt verlockend, doch ganz so einfach ist die Sache nicht, wie Lehrer und Schlafmediziner erklären.
Schlaftyp ändert sich in der Pubertät
«Frühtypen wird das frühe Aufstehen eher keine Probleme machen», sagt der Kinder- und Jugendarzt Alfred Wiater von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Allerdings verändere sich bei vielen Menschen in der Pubertät die innere Uhr - in Richtung Spättyp. «Sie werden abends erst später müde, können demzufolge erst später einschlafen und brauchen morgens länger Schlaf, um ihren physiologischen Schlafbedarf zu decken», erklärt Wiater. «Schlafmangel schränkt die Leistungsfähigkeit ein, führt zu Konzentrations- und Ausdauerstörungen und macht schlechte Laune.»
Im US-amerikanischen Seattle war man diese Diskussionen leid und verschob den Unterricht an mehreren Schulen um gut eine halbe Stunde auf 8.45 Uhr nach hinten. Forscher der dortigen University of Washington begleiteten den Versuch. Ihre Erkenntnis: Die Schüler schliefen durchschnittlich 34 Minuten länger, ihre Leistungen verbesserten sich und die Fehlzeiten waren geringer.
Was gegen einen späteren Schulbeginn spricht
Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, kennt als Rektor des Robert-Koch-Gymnasiums in Deggendorf das Leid mit unausgeschlafenen Schülern. Gleichzeitig sieht er die Probleme eines späteren Starts. Ein Punkt sind die Schulbusse, vor allem auf dem Land, die Schüler in einem grossen Umkreis einsammeln und oft mehrere Schulen anfahren. Wenn die alle zu unterschiedlichen Zeiten beginnen, sei das problematisch. Zudem bedeute ein späterer Schulbeginn auch, dass man in die Mittagszeit hineinkomme. «Sie müssten eine Mittagsversorgung anbieten und nach der Mittagspause noch mal Unterricht machen. Das findet wenig Akzeptanz», ist sich Meidinger sicher.
Doch was sagen die Schüler selbst? Erst im September hatte der Kindersender Kika eine Studie unter 1300 Erst- bis Sechstklässlern veröffentlicht. Im Schnitt wünschten diese sich einen Schulstart um 8.40 Uhr. Wer privat herumfragt, bekommt erst grosse Zustimmung. Ein späterer Schulbeginn, vielleicht sogar erst um 9.00 Uhr - traumhaft. Doch gleich darauf der entsetzte Rückzieher: «Aber dann würde die Schule ja bis 14.00 Uhr dauern!» Das hat auch Meidinger beobachtet: «Die Jugendlichen stehen schon schwer auf in der Früh. Der freie Nachmittag ist ihnen aber noch wichtiger, als das späte Aufstehen».
Welche Rolle die Zeitumstellung spielt
Etwas Erleichterung verspricht die Zeitumstellung auf die Winterzeit, in diesem Jahr am 27. Oktober, bei der die Uhren eine Stunde zurückgestellt werden. Das alte 8.00 Uhr wird zum neuen 7.00 Uhr - hört sich gut an. Anders die Sommerzeit, bei der die Uhren wieder vorgestellt werden und alle eine Stunde früher aus den Federn müssen. Der Lehrerverband ist deshalb entschieden gegen eine permanente Sommerzeit, wie sie derzeit im Rahmen einer Abschaffung der Zeitumstellung EU-weit diskutiert wird. Kinder müssten dann viel länger bei Dunkelheit in die Schule gehen, schimpft Meidinger.
Dabei spielt das Tageslicht eine entscheidende Rolle für die Leistungsfähigkeit. Nicht die Uhrzeit beeinflusse die innere Uhr, sondern die Zeit, die man dem Sonnenlicht ausgesetzt sei, erklärt Joachim Ficker, der das Schlafmedizinische Zentrum in Nürnberg leitet. «Es soll möglichst viel natürliches Licht auf die Netzhaut treffen.» Das mache wacher und leistungsfähig. Auch tagsüber rät er dazu, nicht den Nachmittag nur mit dem Handy auf dem Sofa abzuhängen. «Jemand, der sich nachmittags richtig ausgetobt hat, kann abends ganz wunderbar schlafen.» Und noch einen Tipp für verschlafene Teenager hat er parat: Zu Fuss zur Schule gehen. «Das langt, um unsere innere Uhr zu synchronisieren, um unserem Organismus ein klares Startsignal zu geben: jetzt ist Morgen, jetzt ist Tag, jetzt geht es los.»
Wie viel Schlag Jugendliche brauchen
Schulbeginn um acht - oder sogar noch früher - kann verdammt hart sein. Jugendliche sollten dann besonders darauf achten, dass sie regelmässig und früh genug ins Bett gehen. Darauf weist der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hin. Ansonsten drohen langfristig gesundheitliche Schäden.
Einer aktuellen Studie zufolge steigt durch unzureichenden Schlaf zum Beispiel das Risiko einer Zuckererkrankung. Teenager brauchen pro Nacht etwa acht bis zehn Stunden, erklären die Ärzte. Bekommt jemand dauerhaft weniger, leiden die Blutzuckerwerte. Nach einer anderen Studie neigen die Nachteulen unter den Jugendlichen, die also spät ins Bett gehen, zudem zu einem grösseren Taillenumfang und mehr Fettablagerung im Bauchbereich. Das gilt vor allem für Mädchen.
Damit das Einschlafen klappt, raten die Experten, etwa eine Stunde vor dem Zubettgehen auf Displays aller Art zu verzichten - auf Fernseher also ebenso wie auf Smartphones. Selbst mit so viel Disziplin kann es aber trotzdem sein, dass der Schlaf sich nicht einstellen mag: Teenager neigen den Angaben nach allgemein dazu, später einzuschlafen und auch später aufzuwachen - wenn nicht der Wecker zur ersten Stunde klingelt.