Brexit Chaos wird noch Jahrzehnte anhalten
Täglich beherrschen Meldungen zum chaotischen Brexit die internationale Presse. Denn keiner weiss, was er will. Schon gar nicht Boris Johnson. Eine Analyse.
Das Wichtigste in Kürze
- Anfangs Woche wurde das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit verabschiedet.
- Ob die Briten eine Verlängerung für die Brexit-Frist vom 31. Oktober kriegen, steht offen.
- Die Expertin des Instituts für Politikwissenschaft ordnet ein.
Brexit - Brexit - Brexit - Es ist das dominierende Thema in der Europäischen Union. Denn das Chaos scheint kein Ende zu nehmen. Im Gegenteil: Diese Woche lieferten die Briten einen Knall nach dem nächsten. Und das, obwohl Premier Johnson das Parlament in die Zwangspause schickte.
Eine zweite Klatsche zu Johnsons Neuwahlen-Wunsch, das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit verabschiedet. Dann wurden auch noch britische Regierungsdokumente mit den möglichen dramatischen Folgen veröffentlicht.
Das Chaos scheint komplett. Nicht ganz - erklärt Professorin Stefanie Walter vom Institut für Politikwissenschaft an der Uni Zürich. Denn der Brexit wird die Briten und die EU noch lange auf Trab halten.
Briten wissen nicht, was sie wollen
Der nächste wichtige Schritt wird der EU-Gipfel Mitte Oktober sein. Dann entscheiden die EU-Träger, ob Johnson eine Verlängerung für die am 31. Oktober auslaufende Brexit-Frist erhält.
«Prognosen kann man derzeit in der britischen Politik gar keine machen», stellt Walter fest. So verworren sei die Angelegenheit. «Die britischen Parlamentarier sind sich mehrheitlich einig, dass sie keinen No Deal wollen. Aber sie können sich nicht darauf einigen, was sie stattdessen wollen.»
Das sei der Kern des derzeitigen Problems, die Unwissenheit. «Auch im Parlament wissen sie nicht, was sie wollen. Darum können sie sich ja nicht einigen!» Was die Briten gerade durchstehen, sei ein sehr schwieriger und sehr teurer Prozess.
«Spannend ist, dass viele Briten gemäss Umfragewerten einen No-Deal-Brexit befürworten. Doch wenn man genauer hinschaut, ist ihre Begründung, dass sie einen Schlussstrich unter das Thema Brexit ziehen möchten.»
Doch so schnell wird das nicht geschehen. Denn da sich die Briten nicht auf einen konkreten Vorschlag einigen können, gibt auch die EU nicht nach. Diese habe bei der letzten Frist-Verlängerung schon beteuert, sie würde eine weitere Verzögerung nur mit gutem Grund gewähren.
«Und den gibt es bisher nicht!» Trotzdem schliesst die Professorin nicht aus, dass die EU Mitte Oktober «zähneknirschend» nochmals nachgibt. «Jedoch nicht lange, vielleicht bis im Januar.»
Demokratie-Glaube nimmt durch Brexit massiven Schaden
Klar ist für Walter, dass das Brexit-Drama Folgen weit über die Insel hinaus hat. «Die Demokratie leidet massiv. Wie sich schon in den USA mit Trump zeigt, können wir uns nicht darauf verlassen, dass Regeln eingehalten werden.»
Deutlichstes Beispiel dafür sind die von Johnson verhängten Zwangsferien, die bis vors oberste Gericht angefochten werden. «Unsere Demokratie ist zwar auf Regeln und Verfassungen aufgebaut. Aber zum grossen Teil eben auch auf Gewohnheiten und Konventionen.»
Lange habe das britische Parlament als das stärkste in Europa gegolten. «Jetzt sieht man das Gegenteil, dass Johnson kurzerhand das Parlament zu entmachten sucht. »
Schlussendlich werde früher oder später ein Brexit-Deal gefunden. Und dann gilt es für die Briten erst recht Lösungen und Kompromisse zu finden. «Das Thema wird die Briten noch jahrzehntelang beschäftigen.»