Aufgeheizte Stimmung am Big Ben wegen Brexit-Tag
Nach Feiern ist beiden Seiten an diesem grauen Freitag vor dem britischen Parlament nicht zumute. Heute um Mitternacht steigt Grossbritannien aus der EU aus.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Stimmung kurz vor dem Brexit ist angespannt.
- Um Mitternacht am Freitag tritt Grossbritannien endgültig aus der EU aus.
- Dreieinhalb Jahre voller Abstimmungsschlachten liegen hinter Grossbritannien.
IIn den vergangenen dreieinhalb Jahren wurden unzählige Wortgefechte und Abstimmungsschlachten über den Brexit ausgetragen. Meist wurden diese von Protesten für und gegen den EU-Austritt begleitet. Am letzten Tag der EU-Mitgliedschaft ist es nicht anders: Die Stimmung heizt sich immer weiter auf.
Stimmen für und gegen den Brexit
«Der Brexit ist ein Desaster», schimpft die gebürtige Italienerin Silvia Zamperini. Sie ist frustriert und wütend. «Früher war Grossbritannien so ein offenes Land. Jetzt sind hier viele rassistisch, homophob und intolerant», sagt die 51-Jährige, die schon seit 26 Jahren in England lebt. «Niemand zerrt mich aus der EU», steht auf einem Pappschild, das sie sich um den Hals gehängt hat. Der Parliament Square ist schon tagsüber gefüllt mit vielen Menschen.
Die 76-jährige Brenda Brooks ist dagegen froh über den Brexit: «Die EU will ein Superstaat werden», sagt die Seniorin aus Devon im Südwesten Englands. Sie hat bei der letzten Wahl Boris Johnsons Konservative Partei gewählt. Früher sei Europa wunderbar divers gewesen, doch die EU verschwende zu viel Geld und wolle alles vereinheitlichen. «Wir wollen unsere Unabhängigkeit.»
Grossbritannien ist weiterhin gespalten
Die Versammlung auf dem Platz vor dem Parlament spiegelt die Stimmung im Land wider. Grossbritannien ist noch immer zutiefst gespalten in der Brexit-Frage. Beim Referendum im Sommer 2016 hatten sich die Briten mit knapper Mehrheit für die Trennung von der EU ausgesprochen. In den Landesteilen Schottland und Nordirland wollten die meisten lieber in der EU bleiben.
Und heute? Inzwischen würde es den Brexit bei einem neuen Votum wohl nicht mehr geben. Dies meint der Umfrage-Guru John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow. 53 Prozent würden dagegen stimmen. Grund dafür sei aber nicht, dass Befürworter ihre Meinung geändert hätten, sondern dass Nichtwähler eher gegen den Brexit stimmen würden.
Punktesystem für Einwanderung
Besonders betroffen von der Loslösung von der EU sind die mehr als drei Millionen EU-Ausländer in Grossbritannien. Die grösste Gruppe von ihnen sind mit grossem Abstand die Polen. Auch schätzungsweise 140 000 Deutsche leben in Grossbritannien - bis vor kurzem auch Wolfgang Schlegel. Er hat 15 Jahre in Glasgow gelebt, nun seine Sachen gepackt und baut sich ein neues Leben in Halle auf.
Grossbritannien will die Zahl der Einwanderer deutlich reduzieren und setzt vor allem auf hochqualifizierte Arbeitskräfte. Die Regierung will ein Punktesystem nach australischem Vorbild für die Auswahl einführen. Arbeitslosigkeit, Mangel an Schulplätzen, überfüllte, marode Kliniken - vieles wurde den Ausländern angelastet. Etliche von ihnen fühlen sich im Königreich nicht mehr wohl.