Brexit: UK-Bürger in der Schweiz sorgen sich um Zukunft
Das Wichtigste in Kürze
- Um Mitternacht tritt das Vereinigte Königreich endgültig aus der EU aus.
- Nau.ch hat mit diversen Bürgern aus verschiedenen Regionen Grossbritanniens gesprochen.
Um Mitternacht ist es soweit. Nach vier Jahren Verhandlungen, mehreren verstrichenen Ultimaten und zwei Neuwahlen. Nun wird das Vereinigte Königreich in der Nacht auf Samstag aus der EU endgültig austreten.
Auch in der Schweiz leben viele Bürger des Vereinigten Königreichs. Und auch hier gehen die Meinungen auseinander. Nau.ch hat vier in der Schweiz lebhafte UK-Bürger aus den verschiedenen Regionen des Königreichs befragt.
Wut und Enttäuschung auch hierzulande zu spüren
Viele Bürger Grossbritanniens fühlen sich durch den Brexit-Prozess hintergangen. Professor David Britain von der Englisch-Abteilung der Uni Bern befürchtet, dass sich Grossbritannien mit dieser Aktion heftig ins Bein schiesse. Er persönlich ist kein Unterstützer des Brexits und bezeichnet sich selber als Europäer.
«Es ist offensichtlich, dass unsere Mitgliedschaft bei der EU das alltägliche Leben der britischen Bevölkerung über die letzten Jahrzehnte verbesserte. Das Land konnte eine starke Belegschaft aus der EU hinein holen», ist er überzeugt.
Mit Premierminister Boris Johnsons Plänen zum «Post-Brexit» wird eine starke EU-Belegschaft wohl Geschichte sein. Mehrere EU-Staatsbürger kämpfen momentan um des Recht, in Grossbritannien zu bleiben.
Britain drückt auch Besorgnis für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Grossbritannien und der EU aus.
Auch Ex-Professor Richard Watts derselben Uni ist masslos enttäuscht über den Brexit-Prozess. Er erinnert sich an Grossbritanniens EU-Beitritt und dessen Vorteile in den 70er Jahren. «Brexit ist ein von Rechtsradikalen unterstützter ‹Zurück-In-Die-Zukunft-Schachzug›», glaubt er.
Watts verurteilt auch englische Mythen über die Geopolitik Europas. Darunter zum Beispiel die sogenannte «grosse europäische Invasion». Diese Verschwörungstheorie behauptet, die Deutschen hätten nun das Sagen in Europa, trotz ihrer Niederlage in den beiden Weltkriegen.
Die Zukunftssorgen: Klima und Rechtsrutsch
Viele Sorgen sich um den zukünftigen Umgang mit dem Klimawandel. Britain spricht von düsterer Aussicht betreffend den Klimaschutz. «In der EU gab es einen Hoffnungsschimmer, dass wir zusammen besser gegen den Klimawandel vorgehen könnten als alleine.»
Watts blickt in diesem Zusammenhang ebenfalls verzweifelt in die Zukunft. «Obwohl ich jetzt Schweizer bin, und wir kein EU-Staat sind, liegt jetzt die Zukunft in Europa. Und da sollten wir gegen Korruption vorgehen und die Klimakrise zusammen bewältigen.»
Die Emotionen zum Brexit nehmen in Schottland ein ganz anderes Mass an. Die Mehrheit der schottischen Wählerschaft hat sich gegen einen EU-Austritt entschieden. Muss aber als Teil des Vereinigten Königreichs auch aus der EU austreten.
Jimmy Hay ist schottischer Bürger und lebt seit über 30 Jahren in der Schweiz. Er nennt als Auslöser die neuen EU-Massnahmen zur Besteuerung von Milliardären. «Die Milliardäre in der konservativen Partei merkten dies.» Im Brexit-Kämpfer Nigel Farage hätten sie die Lösung gesehen.
Seine Sorge: Die zukünftige Politik. «Seit den letzten Wahlen wird Schottland von einer Partei regiert, in der praktisch keine Mitglieder aus Schottland stammen. Und diese verfolgen eine rechtsradikale, anti-Einbürgerungs-Rhetorik, trotz der massiv zugenommenen SNP (Schottische Nationalpartei).»
UK-Bürger in der Schweiz haben auch Verständnis
Doch es gibt auch in der Schweiz lebe UK-Bürger, die den Brexit zumindest zu verstehen versuchen. Dewi Williams (80) ist ein solcher Bürger. Er stammt ursprünglich aus Wales und hat sich in der Schweiz eine Existenz aufgebaut.
Er kritisiert, dass die «Remainers» (Brexit-Gegner) bei der Auflistung der Vorteile der EU-Mitgliederschaft versagt hätten. Ausserdem hätten sich viele grossbritannische Bürger von der EU im Stich gelassen gefühlt.
«Viele Menschen fühlten sich machtlos bei Entscheidungen, die sie direkt betrafen. Als Waliser verstehe ich Menschen, die London und Brüssel als zu weit weg betrachten.»
Und trotzdem gibt er zu: «Ich bin traurig über den Brexit. Aber ich verstehe, wieso dafür abgestimmt wurde.»
Endlich wieder andere Themen als nur Brexit
Worüber sich hingegen alle vier Befragten einig sind: Für die Schweiz wird der Brexit kaum Folgen haben. Die Bürger Grossbritanniens spüren ihn jedoch schon jetzt, wie Professor Britain abschliessend betont.
«In den letzten drei Jahren war der Fokus so sehr auf dem Brexit, dass wir anderes fast vergessen haben. Wie beispielsweise die englische Krankenversicherung in einer Krise steckt. Es schmerzt zu sehen, wie meine 87-jährige Mutter in einer Schlange von Ambulanzen feststeckt. Nur, weil es nicht genug Trolleys oder Krankenpfleger für alle Notfallpatienten hat.»
Ob sich die Politik und Bevölkerung in Grossbritannien nun wieder anderen Themen widmen können, wird sich zeigen. Fakt ist: Ab Mitternacht ist der Brexit vollzogen.