Britische Unternehmen bekommen Brexit-Folgen zu spüren
Der Ausstieg Grossbritanniens aus dem Binnenmarkt und der Zollunion macht Firmen auf der Insel mehr zu schaffen, als es die optimistischen Äusserungen von Premier Boris Johnson erwarten liessen. Besonders Fischer in Schottland fürchten um ihre Existenz.
Das Wichtigste in Kürze
- Fischer, Paketdienste und Modeketten: Gut eine Woche nach dem Austritt Grossbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion machen sich die Brexit-Folgen bei immer mehr Unternehmen bemerkbar.
Das, obwohl der britische Premierminister Boris Johnson nach dem Abschluss des nach seinen Worten «fantastischen» Handelspakts mit der EU versprochen hatte, es werde keinerlei Handelshemmnisse geben.
Probleme gibt es vor allem für britische Exporteure von Fischen und Meeresfrüchten, die für ihre Waren nun aufwendige Erklärungen für Bestimmungen über Zölle und Lebensmittelsicherheit ausfüllen müssen. Hinzu kommen Verzögerungen bei der Lieferung der verderblichen Ware, die grösstenteils für den Kontinent bestimmt ist. Für viele ist das Geschäft damit unrentabel geworden.
John Charles, ein Unternehmer in der Fischverarbeitung aus dem schottischen Aberdeen, kann seine Kunden in Deutschland nicht mehr bedienen, wie er der Deutschen Presse-Agentur am Freitag sagte. «Die Situation ist, dass die Kosten für die Export-Bescheinigungen für Europa es einem unmöglich machen, als kleiner Exporteur Geschäfte zu machen», so Charles.
Der für schottische Fischprodukte wichtigste Logistikkonzern DFDS teilte seinen Kunden am Donnerstagabend mit, der Transport von Frachtladungen gemischter Produkte werde bis zur kommenden Woche ausgesetzt. Die Chefin des Verbands Seafood Scotland, Donna Fordyce, sprach von einem «perfekten Sturm» aus Folgen der Corona-Pandemie und dem Brexit für die Branche. Viele Unternehmen seien nicht in der Lage, die erforderlichen Unterlagen auszufüllen. Hinzu kämen Probleme bei den IT-Systemen und Verwirrung über die neuen Regelungen. «Wir könnten innerhalb sehr kurzer Zeit die Zerstörung einer jahrhundertealten Branche sehen, die einen erheblichen Teil der schottischen Wirtschaft ausmacht», warnte Fordyce der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge.
Auch der Paket-Dienstleister DPD zog am Freitag Konsequenzen und stellte Lieferungen von Grossbritannien auf den europäischen Kontinent und nach Irland vorübergehend ein. Grund sei die erhöhte Belastung durch die erforderliche Zollbürokratie, wie das Unternehmen auf seiner Webseite mitteilte. 20 Prozent der Pakete wurden demnach ohne ausreichende Zollerklärung abgesendet und müssten an die Absender zurückgeschickt werden.
Schwierigkeiten gibt es auch für die Textileinzelhändler, deren Waren häufig in Asien hergestellt werden. Dem an Heiligabend vereinbarten Handelspakt zufolge fallen für Kleider und Accessoires, die beispielsweise aus Bangladesch oder Kambodscha stammen, nun Zölle an, wenn sie von Grossbritannien aus in die Europäische Union geliefert werden. Nur Waren, die in Grossbritannien weiterverarbeitet oder veredelt wurden, dürfen zollfrei ins EU-Zollgebiet eingeführt werden. Die Regeln dazu sind komplex und von Warengruppe zu Warengruppe unterschiedlich.
Der Handelsexperte William Bain vom britischen Einzelhandelsverband BRS (British Retail Consortium) teilte mit, 50 Mitgliedsunternehmen seien von möglichen Zöllen bei den sogenannten Reexporten in die EU betroffen. «Wir arbeiten mit Mitgliedern an kurzfristigen Optionen und suchen den Dialog mit der Regierung und der EU für langfristige Lösungen, um den Effekt neuer Zölle abzufedern.»
Die Unternehmen John Lewis und TKMaxx stellten Lieferungen nach Nordirland vorübergehend ein. Das Warenhaus Debenhams nahm seinen Online-Shop für Irland vom Netz. «Es tut uns leid, aber wir sind derzeit nicht in der Lage, Bestellungen von der Republik Irland auszuliefern wegen Unsicherheit über die Handelsbestimmungen nach dem Brexit», hiess es zur Begründung.
Auch in Deutschland reagierten Unternehmen auf die neue Situation. Einer Umfrage des Aussenhandelsverbandes BGA zufolge, auf die 500 Unternehmen antworteten, haben 20 Prozent der Firmen britische Lieferanten aus den Lieferketten entfernt. Die Umfrage fand Mitte Dezember statt.
In Nordirland hat besonders der Lebensmittelhandel mit den Brexit-Folgen zu kämpfen. «Die Menschen hier beschweren sich über leere Regale in den Supermärkten», sagte die nordirische Konfliktforscherin und Brexit-Expertin Katy Hayward von der Queen's University Belfast der Deutschen Presse-Agentur. Insbesondere bei frischen Produkten komme es zu Störungen der Lieferketten. Firmen seien unsicher, welche Formulare bei der Einfuhr notwendig sind.