Coronavirus: Schweden wird in Europa zum Aussenseiter
Weite Teile Europas sind mit der Rückkehr zur Normalität beschäftigt, aber Schweden vermeldet neue Höchstzahlen des Coronavirus. Schlägt der «Sonderweg» fehl?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Corona-Neuinfektionszahlen in Schweden bleiben kontinuierlich hoch.
- Das Land hat auf einen Lockdown verzichtet und setzt auf Eigenverantwortung.
- Mittlerweile wird Schweden jedoch zum europäischen Corona-Aussenseiter.
Schwedens «Sonderweg» mit dem Coronavirus sorgte von Anfang an für Aufsehen: Anders als im restlichen Europa wurde in Schweden auf einen harten Lockdown verzichtet: Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen wurden abgesagt, die Regierung legte der Bevölkerung das Social Distancing nahe, ohne es aufzuzwingen.
Europaweit beobachtete man Schwedens Umgang mit dem Coronavirus genau. Vielerorts fragte man sich, ob der Lockdown nicht übertrieben ist. Anfangs blieben die Fallzahlen im Vergleich zu Italien, Spanien und der Schweiz tief. Doch mittlerweile hat Schweden hohe Todeszahlen – die Neuinfektionszahlen bleiben hoch.
Wenige Corona-Tests, viele Tote in Altersheimen
Am Donnerstag meldete das Land mit über 1400 Neuansteckungen einen neuen Höchstwert. Doch: Wie verschiedene Medien berichten, wurden die Corona-Tests in Schweden vor kurzem ausgeweitet: Bisher wurde nur bei ernsten Krankheitsverläufen getestet.
Somit handelt es sich bei dem jüngsten Anstieg nur um eine scheinbare Verschlimmerung: Seit zwei Monaten verläuft die Kurve nahezu geradlinig.
Mit 4800 Toten hat das Land mit zehn Millionen Einwohnern mehr als doppelt so viele Corona-Tote wie die Schweiz. Besonders prekär ist die Lage in den Altersheimen, wie der «Tagesspiegel» schreibt: Senioren-Heime sind für rund ein Drittel der Todesfälle verantwortlich.
Freiheit höher als Bevölkerungsschutz gewichtet
Die persönliche Freiheit wurde in Schweden höher gewichtet als der Kampf gegen das Virus. Die Schweizer mussten aufgrund der ausserordentlichen Lage auf demokratische Grundrechte verzichten. Im besonders progressiven Schweden wollte man so eine Bevormundung des Volkes nicht umsetzen.
Federführend bei der Corona-Politik Schwedens ist Staatsepidemiologe Anders Tegnell. Während viele Schweden den Epidemiologen für seinen lockeren Kurs zelebrieren, erhält Tegnell jedoch auch scharfe Kritik bis hin zu Morddrohungen. Kürzlich gestand er ein, dass Schweden wohl gewisse Fehler gemacht habe.
Coronavirus: Schweden wird zum europäischen Aussenseiter
Mittlerweile kippt die Situation. Aufgrund der hohen Infektionszahlen wird Schweden zum europäischen Aussenseiter in Sachen Coronavirus.
Aufgrund der international ausgerichteten Wirtschaft konnten schwedische Unternehmen auch ohne Lockdown ihre Produktion nicht aufrechterhalten. «Euronews» zitiert die Schwedische Handelsministerin Anna Hallberg: «50 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts hängen vom Export ab. Wenn die anderen Länder dicht machen, betrifft uns das. Ja, wir haben einen kräftigen Schlag abbekommen.»
Deutschland gab kürzlich bekannt, die strengen Reisewarnungen für zahlreiche europäische Länder ab Mitte Juni wieder aufzuheben. Doch Schweden erfüllt laut dem Deutschen Auswärtigen Amt die «Pandemiekriterien» noch nicht. Von Reisen nach Schweden wird damit weiterhin dringend abgeraten. Während der Schweizer Tourismus vorsichtig optimistisch in die Sommersaison blickt, warnt Schweden weiterhin selbst vor Reisen innerhalb des eigenen Landes.
Ein Ende der Epidemie in Schweden ist weiterhin nicht absehbar. Wurde der harte Lockdown in der Schweiz anfangs kritisiert, zeigt sich nun: Ein vergleichsweise kurzer Lockdown, um die Epidemie schnell in den Griff zu bekommen, könnte also das effektivere Mittel gewesen sein.