Der Nahost-Konflikt - ein Kampf um Land und Sicherheit
Vor allem, wenn wieder zu den Waffen gegriffen wird, rückt der jahrzehntelange Konflikt erneut in den Fokus. Es ist eine überaus komplexe Lage mit höchst verschiedenen Interessen.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Grunde genommen dreht sich der Nahost-Konflikt um den wenig mehr als 100 Kilometer breiten Landstreifen zwischen Jordan und Mittelmeer.
Aber es geht auch um Heimat und Sicherheit. In der Vergangenheit gab es viele Versuche, die Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern über Verhandlungen, Verträge und Abkommen zu mindern. Doch kam und kommt es immer wieder zu Waffengängen. Bei einer Lösung der Probleme ging es aber kaum signifikant vorwärts.
Wie kam es, dass der Staat Israel entstand?
Bereits weit vor dem Holocaust zielte die politische Bewegung des Zionismus auf die Gründung eines Nationalstaats für Jüdinnen und Juden. Entstehen sollte dieser auf dem - damals vor allem von Arabern bewohnten - Gebiet des «Heiligen Landes», der Wurzel des Judentums in der hebräischen Bibel und Wohnort der Juden schon in der Antike. Auch nach der Vertreibung der Juden durch die Römer aus Judäa - später Palästina genannt - im ersten und zweiten Jahrhundert war dort bis zur Neuzeit in mehreren Städten eine kleine jüdische Präsenz verblieben.
Während des antisemitischen Terrors in Europa unter der deutschen Nazi-Herrschaft wird Palästina ab 1933 einer der wichtigsten Zufluchtsorte, um der Schoah zu entkommen. Auch aus arabischen Staaten, die mit dem NS-Regime sympathisieren, fliehen Juden vor Pogromen in das britische Mandatsgebiet am Mittelmeer. Nach dem Zweiten Weltkrieg rufen die Vereinten Nationen zur Teilung der Region in einen jüdischen und einen muslimisch geprägten arabischen Staat auf. Die Juden stimmen zu, die Araber lehnen den Plan ab.
Wie beginnt der bewaffnete Konflikt mit den Arabern?
Unmittelbar nach der Unabhängigkeit Israels erklären am 15. Mai 1948 die Nachbarn Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den Krieg. Im Kampf kann der neue Staat sein Territorium vergrössern und den Westteil Jerusalems erobern. Rund 700 000 Palästinenser fliehen in die Nachbarländer, wo die Nachkommen heute teils noch in Flüchtlingslagern leben. Ihre Zahl ist inzwischen auf mehr als fünf Millionen angewachsen. Andererseits werden Juden aus den arabischen Staaten vertrieben - beziehungsweise fliehen nach Israel. Es wird geschätzt, dass von den 900.000 Juden, die vor 1948 in arabischen Ländern lebten, heute nur wenige Tausend noch dort wohnen.
Wie geht es nach der Unabhängigkeit weiter?
Über die Jahrzehnte kommt es immer wieder zu Kriegen zwischen Israel und seinen Nachbarn, die den jungen Staat vernichten wollen. Im Sechstagekrieg von 1967 erobert Israel den Gazastreifen, das Westjordanland, Ost-Jerusalem, die Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel. Die spätere Einverleibung Ost-Jerusalems und der Golanhöhen in israelisches Staatsgebiet ist international nicht anerkannt. 1973 gelingt es dem jüdischen Staat nur unter schweren Verlusten, einen Überfall arabischer Staaten unter Führung Ägyptens und Syriens an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, abzuwehren.
Bis heute hat Israel mit einem Teil seiner Nachbarn Frieden geschlossen. Mittlerweile unterhält das Land diplomatische Beziehungen zu Ägypten, das 1982 den Sinai zurückerhielt, und Jordanien. Auch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain soll das Verhältnis normalisiert werden.
Und was ist mit den Palästinensern?
Sie fühlen sich weiterhin ihrer Heimat beraubt. Im Gazastreifen leben derzeit zwei Millionen Menschen unter miserablen Bedingungen und unter einer Blockade Israels, die von Ägypten mitgetragen und mit Sicherheitsinteressen begründet wird. Auch im besetzten Westjordanland ist das Leben wegen der israelischen Besatzung von vielen Hürden geprägt.
Proteste mündeten in der Vergangenheit häufig in Gewaltspiralen und Terrorattacken mit vielen Toten in Israel. Als Auslöser der Ersten Intifada (arabisch für «Aufstand») im Dezember 1987 gilt ein Verkehrsunfall, bei dem in einer sowieso schon angespannten Lage vier Palästinenser getötet wurden. Die Zweite Intifada beginnt 2000 nach einem demonstrativen Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon an der Al-Aksa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg. Danach steigt die Zahl palästinensischer Selbstmordanschläge schnell an - auch im israelischen Kernland. 2002 beginnt Israel mit dem Bau einer 750 Kilometer langen Sperranlage rund ums Westjordanland. Zäune und Mauern verlaufen zum Teil auf palästinensischem Gebiet.
Was haben die Palästinenser bisher erreicht?
Im Rahmen der nach 1993 unterzeichneten Friedensverträge von Oslo erzielen die Palästinenser eine Teilautonomie im Gazastreifen und Westjordanland. Doch Kernfragen des Konflikts etwa über den künftigen Grenzverlauf eines möglicherweise unabhängigen Palästina, die Frage der israelischen Siedlungen und das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge sind bisher nicht abschliessend geregelt.
Was wollen die Palästinenser?
Die Palästinenserführung fordert einen eigenen Staat im Westjordanland und dem Gazastreifen mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Sie will zudem ein Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge in ihre alte Heimat, doch Israel lehnt dies ab. Die im Westjordanland herrschende, säkular ausgerichtete Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas strebt einen unabhängigen Staat in den Grenzen von 1967 an. Daneben gibt es aber auch antisemitische Bestrebungen, den jüdischen Staat vollständig von der Landkarte zu tilgen. Vor allem die in Europa und den USA als Terrororganisation eingestufte Hamas bestreitet das Existenzrecht Israels und fordert die gewaltsame Errichtung eines islamischen Palästinas vom Mittelmeer bis zum Jordan. Aus dem von Israel und Ägypten blockierten Gazastreifen, in dem die Hamas herrscht, werden immer wieder Raketen auf den Nachbarn abgefeuert und Brand- und Sprengstoff-Ballons gesendet. Israel reagiert mit Militäroperationen.
Sind sich die Palästinenser denn aber grundsätzlich einig?
Nein. Nachdem Israel gegen grossen Widerstand die jüdischen Siedler im Gazastreifen räumte und seine Truppen abzog, vertrieb 2007 die radikal-islamische Hamas in einem blutigen Machtkampf die Fatah aus dem Küstengebiet. Seitdem versucht die Hamas immer mehr Einfluss zu gewinnen - auch im Westjordanland. Dazu gehören auch militärische Machtdemonstrationen. Seit Ende 2008 haben sich Israel und die Hamas drei Kriege geliefert.
Was will Israel?
Vor allem die Anerkennung des Staates und ein Ende des Terrors. Ein grosser Zankapfel bleibt allerdings die systematische Besiedlung palästinensischen Gebiets, die bereits nach den Eroberungen von 1967 begann. Während Israel 2005 die Siedlungen im Gazastreifen räumte, leben im Westjordanland und Ost-Jerusalem neben den Palästinensern inzwischen auch 600.000 israelische Siedler. Die Regionen des Westjordanlandes, in dem es jüdische Siedlungen oder Militäreinrichtungen gibt, liegen weiterhin vollständig unter Israels Kontrolle. Dem UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) zufolge umfasst dieses Gebiet mehr als 60 Prozent des Westjordanlandes. Die Siedler beanspruchen, sich im Land ihrer Vorväter niederzulassen. Die Vereinten Nationen betrachten Siedlungen als Verstoss gegen internationales Recht und als grosses Hindernis für Frieden.
Was ist mit Jerusalem?
Das ist eine der zentralen Streitfragen im Konflikt. Israel beansprucht Jerusalem als seine «ewige und unteilbare Hauptstadt». Die Palästinenser wollen den Ostteil als Hauptstadt eines eigenen Staates. Zentrale religiöse Zentren für Judentum, Islam und Christentum beherbergt vor allem der arabisch geprägte Ostteil. Dort liegt die Altstadt mit dem Tempelberg, der Juden und Muslimen gleichermassen als bedeutendes Heiligtum gilt. Nach jüdischem Glauben soll dort Stammvater Abraham aus Gottesfürchtigkeit beinah seinen Sohn Isaak geopfert haben. Auf dem Tempelberg liegt für Juden das Allerheiligste, er gilt als Ort der Schöpfung. Muslime glauben, dass von dort der Prophet Mohammed in den Himmel aufgestiegen ist.
Was steht als Ziel im Raum?
Als eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts gilt international weitgehend unisono, dass das Gebiet in zwei unabhängige Länder aufgeteilt wird. Dabei soll neben Israel ein demokratisches Palästina entstehen. Doch alle diplomatischen Initiativen für solche einen Ausgang sind bisher gescheitert. Bisher haben weltweit rund 140 Länder Palästina als souveränen Staat anerkannt, allerdings vertreten die meisten westlichen Länder wie die USA oder Deutschland die Auffassung, dass es einen Palästinenser-Staat erst nach einer Friedenslösung mit Israel geben sollte. Bei den Vereinten Nationen geniesst das Land Beobachterstatus, ist aber kein Vollmitglied. Auch die Spaltung zwischen den rivalisierenden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah gilt als grosses Hindernis für eine Lösung.
Wie viele Opfer wurden über die Jahre im Nahost-Konflikt beklagt?
Dazu gibt es verschiedene Angaben. Dem UN-Büro Ocha zufolge starben zwischen 2008 und Ende 2020 im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt 5686 Menschen auf palästinensischer Seite und 251 Israelis.
Die als israel-kritisch geltende Menschenrechtsorganisation Betselem beziffert für die Zeit zwischen Herbst 2000 und Ende April 2021 - also vor der aktuellen Eskalation - die Zahl der getöteten palästinensischen Zivilisten und Kämpfer auf 10.657. Zum Teil seien sie von Palästinensern selbst getötet worden. Auf israelischer Seite sind Betselem zufolge 1268 Menschen (440 Soldaten und 828 Zivilisten) ums Leben gekommen.
Das israelische Aussenministerium berichtet, dass seit September 2000 mehr als 1360 Menschen durch palästinensische Gewalt und Terrorismus getötet worden seien. Das dem israelischen Militär nahestehende Intelligence and Terrorism Information Center gibt an, dass zwischen 2006 und 2020 mehr als 13.000 Raketen auf Israel abgefeuert wurden. Seit Beginn der jüngsten Eskalation wurden nach Armeeangaben bisher rund 2300 Raketen auf Israel geschossen.