Der Videotext wird 40 Jahre alt
Das Wichtigste in Kürze
- «Klinik: Schmerzhafte Erfahrungen.326».
«Kliemann: Kein Bock aufs Touren...161». «Unklare Zukunft für Mitarbeiter 162». Überschriften im Videotext sind prägnant, oft überraschend poetisch.
Wer TV-Sender durchzappt, ist nur einen Knopfdruck entfernt von einer Welt, in der zumeist weiss auf schwarz geschrieben wird. Jahrzehnte bevor Twitter ansetzte, das Leben in 280 Zeichen zu erklären, war man hier schon Meister im Verknappen. «Hier sind die Singles..444» verspricht etwa der ProSieben-Text. Kann man das noch kürzer sagen?
Am Pfingstmontag wird der Videotext in Deutschland 40 Jahre alt - am 1. Juni 1980 hat die ARD mit dem neuen Nachrichtenangebot begonnen. Heute haben fast alle grösseren Sender Videotextseiten. Wetter, Fussballergebnisse, neueste Nachrichten und Untertitel: 16 Millionen lesen heute allein die ARD-Videotextseiten regelmässig.
Betrachtet man die durchschnittliche tägliche Nutzung, sind die Zahlen kleiner. Die Statistik weist für 2018 über alle Sender hinweg im Schnitt 7,22 Millionen Nutzer aus. Das Erste führt mit 2,91 Millionen, die Dritten erreichen 2,78 Millionen, das ZDF 2,70 Millionen, RTL 1,41 Millionen. Seit ein paar Jahren gehen die Werte langsam, aber stetig zurück.
Im aktuellen Pandemie-Jahr dürfte die Zahl vermutlich wachsen. Frauke Langguth ist die Leiterin von ARD Text in Potsdam. Ihre Einschätzung, was die wichtigste Videotext-Schlagzeile dieses Jahres war: «Für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer war der wichtigste Nachrichtentag bisher der 22. März, als der Lockdown beschlossen wurde.»
Sie betont zugleich: «ARD Text war schon immer besonders stark in Krisenzeiten.» Ihr Kollege Jochen Kotelmann, der 1982 als Grafiker beim Videotext anfing und als Dienstleiter Nachrichten kürzlich in den Ruhestand ging, sieht es genauso: «Videotext war immer stark als Krisenmedium.»
In Kotelmanns Zeit fielen viele News zu Kriegen, Terror, Attentaten - «Ereignisse, bei denen der Videotext mit 24-Stunden-Berichterstattung wichtig war und sehr viele Zuschauer fand.» Vor dem Aufkommen des Internets war sein Tempo ein Alleinstellungsmerkmal. «Da wir alle Nachrichten, die reinkommen, sofort verarbeiten, hatten wir vor allem früher einen erheblichen Vorsprung vor anderen Nachrichtensendungen.»
Heute, wo Onlinemedien in rasender Geschwindigkeit berichten, sieht Langguth einen anderen Vorzug im Vordergrund: «Früher war Schnelligkeit Trumpf, heute ist es Verlässlichkeit und Sicherheit. Nur weil etwas schnell in die Welt geblasen wird, muss es noch nicht richtig sein.» Videotext stehe für Unaufgeregtheit und Sachlichkeit.
Natürlich sind Videotext-Seiten heute auch über das World Wide Web abzurufen. Vorbei die analogen Zeiten, als die Technik die sogenannte «Austast-Lücke» nutzte: den Augenblick der Übertragung, in dem der Elektronenstrahl einer Bildröhre dunkel wird und an den Ausgangspunkt zurückspringt. So hatten sich das britische Techniker in den 70ern ausgedacht. In Grossbritannien gibt es übrigens keinen Videotext mehr.
Zur Feier des 40. deutschen Jubiläums servieren auf Seite 890 des ARD-Textes Grafiker eine Geburtstagstorte in Regenbogenfarben. Ihre eckige Anmutung erinnert an Rubiks Zauberwürfel oder an frühe Firmenlogos des Computerherstellers Apple. Es ist dieser reduzierte Vintage-Charme, diese Klarheit, woran viele Menschen Gefallen finden.
Die Spanierin Raquel Meyers etwa setzt sich seit Jahren künstlerisch mit Videotext auseinander. Manche ihrer Video-Arbeiten erinnern an Manga-Comics, andere sind abstrakt: «In diesen digitalen Zeiten ist Technologie veraltet, bevor wir überhaupt lernen, wie man sie benutzt.» Teletext sei anders: «Videotext ist eine Herausforderung, eine Nachricht aus einer unbekannten Sprache, die noch etwas zu sagen hat. Es zeigt, was es ist - und das völlig schmucklos.» Der ARD Text organisiert mit Künstlern wie ihr jedes Jahr ein virtuelles Festival.
Hauptzweck des Angebots ist freilich bis heute Information. «An den Vorteilen des Videotextes hat sich nichts geändert», erläutert Kotelmann. «Er liefert rund um die Uhr den schnellen, kompakten und immer aktuellen Überblick über die Nachrichtenlage. Und er ist thematisch sehr breit aufgestellt. Um unsere Informationen im Netz zu finden, müssen Sie fünf Websites besuchen.»
Bei so vielen Infos kann auch mal eine Panne passieren. Woran sich Kotelmann spontan erinnert: «Der Quizmaster Robert Lembke hat uns eines Tages ganz erbost angerufen. Er hatte als Fussballfan unsere Bundesligaseiten genutzt und sich entsprechend unserer Spielansetzungen einen Flug gebucht. Leider war das Datum auf unserer Seite falsch.»