Die Grünen und die Macht: Raus aus der Öko-Nische

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Deutschland,

Die Deutschen machen sich Sorgen um Bienen und das Klima. Das hilft den Grünen, die derzeit die Bundespolitik aufwirbeln. Aber wer Macht will, muss auf Dauer mehr bieten als ein Öko-Image.

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Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen. Nur zehn Prozent trauen den Grünen zu, mit Deutschlands Problemen fertig zu werden.Foto: Hendrik Schmidt - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Grün ist derzeit angesagt in der Politik.

Das färbt ab. Von der CSU bis zur Linken sprechen alle vom Klimaschutz, umweltpolitische Konzepte werden nachgeschärft.

Die CDU schmückte im Netz gar ihre drei Buchstaben mit Gänseblümchen - immerhin nicht mit Sonnenblumen, dem Logo der Grünen. Und was macht die Ökopartei im Umfrage- und Stimmungshoch? Sie stellt ein Konzept gegen Kinderarmut vor. Das ist kein Zufall.

Beim Umwelt- und Klimaschutz trauen die Bürger den Grünen mit Abstand am meisten zu. Ihre Kernkompetenz tragen sie im Namen - und blieben ihr auch treu, als Bienen und Klimawandel gerade nicht der «heisse Scheiss» waren, wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt vor der Bundestagswahl sagte. Das hilft ihnen jetzt, nachdem der Hitze- und Dürresommer vielen Menschen klar gemacht hat, was die Erderhitzung auch für Deutschland bedeuten kann.

Mehrere Meinungsforschungsinstitute führen die Grünen zurzeit als bundesweit stärkste Kraft noch vor der Union. Der bayerische Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann fordert für den Fall weiter guter Umfragewerte bereits die Abkehr von einer Doppelspitze vor der Bundestagswahl und die Ernennung eines Kanzlerkandidaten. «Wenn es die Umfragen weiterhin hergeben, bin ich für eine klare Kanzlerkandidatur und gegen eine Doppelspitze bei der nächsten Bundestagswahl», sagte er der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung».

Öffentlich heiss gehandelt als möglicher Kanzlerkandidat wird Parteichef Robert Habeck. In einer Emnid-Umfrage für die «Bild am Sonntag» sagten 51 Prozent der Befragten, wenn sie den Kanzler direkt wählen und zwischen Habeck und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer entscheiden könnten, würden sie für Habeck votieren.

Aber einer Partei, die unbedingt regieren will, reicht das Öko-Image nicht - jedenfalls, wenn sie Macht will und nicht nur als «Öko-App» einem Koalitionspartner zur Mehrheit verhelfen. Wenn der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel behauptet, den Grünen sei das Soziale «schnurzegal», dann müssen die Grünen verhindern, dass potenzielle Wähler ihm das abnehmen.

Auch deswegen haben Parteichefin Annalena Baerbock und Göring-Eckardt gerade gemeinsam Pläne für eine Kindergrundsicherung vorgestellt und auf den Euro genau vorgerechnet, welche Familie damit wie viel mehr - oder weniger - auf dem Konto hätte.

«Wir haben programmatisch das volle Sortiment», sagt Michael Kellner, der Bundesgeschäftsführer der Grünen. Und das sei auch nicht neu. «Was neu ist: Uns wird jetzt anders zugehört.» Das Führungsduo Baerbock und Habeck schaffe es, «auf eine neue Weise mit sozialen Themen glaubwürdig durchzudringen». Das muss vor allem der SPD Sorgen machen. Lob für das grüne Konzept gegen Kinderarmut kam unter anderem von der Arbeiterwohlfahrt AWO, die immerhin mal von den Sozialdemokraten gegründet wurde.

Weitere Aufschläge dieser Art werden folgen. Die Grünen sind dabei, Forderungen und Konzepte mit Zahlen zu unterfüttern. Sie wollen auch darüber reden, wie ihre Pläne finanziert werden können. Es ist eine Einladung an skeptische Wähler, die nicht zur Kernklientel gehören, denen Öko nicht reicht für die Wahlentscheidung.

Passend dazu traf sich Habeck gerade mit Kardinal Reinhard Marx, der scherzte, da werde Schwarz-Grün ja deutlich sichtbar - bezogen auf die Kleidung der hochrangigen Katholiken, die den Grünen empfingen.

Unterdessen war Ex-Parteichef Cem Özdemir für eine Woche bei der Bundeswehr zu Gast und posierte mit Fraktionskollege Tobias Lindner in Munster in grünem Flecktarn als Oberleutnant. «Ein Grüner bei der Bundeswehr - passt das zusammen? Ich finde: Ja», schrieb Özdemir dazu bei Instagram. Bei der Infoveranstaltung der Bundeswehr für «zivile Führungskräfte» steht auch das «Schiessen mit Handwaffen» auf dem Programm.

Dass allerdings Lindner und Özdemir in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» das Nato-Ziel, die Verteidigungsausgaben in Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, als «Planwirtschaft mit starrem Zahlenkorsett» ablehnen, würde in Regierungsverantwortung eine Abkehr von der Nato bedeuten, weil es sich um einen mehrfach bekräftigten Beschluss von 29 Mitgliedstaaten handelt. In der Opposition ist vieles einfacher.

Der Schwabe Özdemir aus dem Auto-Ländle Baden-Württemberg war lange auch derjenige an der Grünen-Bundesspitze mit wirtschaftspolitischem Profil - unter anderem setzte er gegen erheblichen Widerstand einen Gastauftritt des damaligen Daimler-Bosses Dieter Zetsche auf einem Parteitag durch. Seit aus der schwarz-gelb-grünen Jamaika-Regierung im Bund nichts wurde, steht er nicht mehr in der ersten Reihe.

Dafür spricht Baerbock nun bei der Jahrestagung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und führt mit dessen Chef Dieter Kempf ein Streitgespräch in der «Wirtschaftswoche». Die Bundestagsfraktion hat einen «Wirtschaftsbeirat» gegründet.

Eine Baustelle für die Grünen bleibt auch die Innenpolitik. Sie regieren in neun Ländern in sieben verschiedenen Koalitionen, den Innenminister stellen sie nirgends. Wie der «Spiegel» berichtet, will die Bundestagsfraktion den «Grünen Polizeikongress» wiederbeleben. Es wäre keine Überraschung, wenn aus der Berliner Parteizentrale auch dazu bald ein grösserer Aufschlag kommt.

Eine Öko-Partei werden die Grünen aber bleiben. So unterschiedlich die Mitglieder seien, Ökologie sei «immer der gemeinsame Nenner», sagt Parteimanager Kellner. Dass Klimaschutz nicht auf dem aktuellen Niveau der «heisse Scheiss» bleibt, damit rechnet auch er - Themenkonjunkturen gebe es immer. Aber es habe sich etwas verändert, die Klimakrise sei angekommen und gehe nicht mehr weg: «Klimaschutz war lange ein Thema für morgen. Jetzt ist es ein Thema für heute.»

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