Durch Corona-Grenzschliessungen steigt der Migrationsdruck
Zehntausende Migranten sind wegen der Corona-Massnahmen gestrandet. Die wachsende Armut dürfte viele weitere Menschen in die Flucht treiben. Die Vereinten Nationen sagen, was das für Zielländer wie Deutschland bedeuten kann.
Das Wichtigste in Kürze
- Wegen der weltweiten Grenzschliessungen infolge der Corona-Krise dürfte der Druck auf irregulären Flüchtlingsrouten bald deutlich steigen.
Der Generaldirektor der UN-Organisation für Migration (IOM), António Vitorino, warnte am Donnerstag in Genf davor, die fast weltweit eingestellte legale Migration - etwa mit Arbeitsvisa oder zur Familienzusammenführung - langfristig zu stoppen. «Dann steigt der Druck deutlich auf den irregulären Migrationsrouten. Und Schmuggler und Menschenhändler nutzen das aus.»
Wegen der Corona-Krise seien weltweit Zehntausende Migranten in prekärer Lage gestrandet. In einigen Grenzregionen, etwa in der Sahel-Zone in Afrika, gebe es bereits Unruhen, sagte Vitorino. In Afrika versuchten bewaffnete Gruppen, die Verzweiflung von Migranten auszunutzen und Mitglieder zu rekrutieren.
Davor warnte auch das UN-Nothilfebüro (OCHA). Armut sei ein Treiber der Migration, sagte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn Menschen nicht überleben können, machen sie sich auf den Weg.» Der beste Weg, das zu verhindern, sei es, zur Stabilität in den Herkunftsländern beizutragen. Die Vereinten Nationen benötigen für die Nothilfe jetzt 6,7 Milliarden Dollar (6,2 Mrd Euro) - drei mal so viel wie im März angegeben. Knapp eine Milliarde war bis Donnerstag eingegangen.
In reichen Ländern versuchten rechte Populisten, die Corona-Krise auszunutzen, um Stimmung gegen Migranten zu machen, sagte Vitorino. Gleichzeitig seien aber gerade die jetzt so wichtigen Gesundheitsdienste ohne Migranten oder Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in vielen Ländern nicht überlebensfähig. Möglicherweise werde vielerorts durch die Krise auch klar, welche Vorteile Migration mit sich bringe.
In Libyen an der Küste Nordafrikas, von wo aus viele Migranten versuchen, nach Europa zu gelangen, sei die Lage dramatisch. Von den bis zu 6000 Migranten, die IOM vor der Corona-Krise in offiziellen Auffanglagern betreute, seien drei Viertel verschwunden. Man wisse nicht, wo sie sich aufhielten. In dem Bürgerkriegsland wurden nach UN-Schätzungen 400.000 Menschen durch Kämpfe vertrieben.
Im Mittelmeer seien noch immer Schmuggler unterwegs, die versuchten, Migranten nach Europa zu bringen. Gleichzeitig seien wegen der Pandemie weniger kommerzielle Schiffe auf See, die Rettungskapazitäten als gering. Er appellierte an Regierungen, Gerettete nicht unter Verweis auf die Corona-Bestimmungen abzuweisen.
Lowcock lobte die deutsche humanitäre Hilfe. «Deutschland hat eine wichtige Führungsrolle und trägt zu nachhaltigen Lösungen in der Welt bei», sagte er. «Auf diesem Weg weiterzumachen und mehr zu geben - das ist die wichtigste Botschaft. Wir sind erst am Anfang, wir müssen uns für eine lange Krise wappnen.»
Er schätzte den Gesamtbedarf, um die bedürftigsten Menschen vor den schlimmsten Folgen der Coronavirus-Pandemie zu schützen, in den nächsten zwölf Monaten auf 90 Milliarden Dollar. Das entspreche einem Prozent der Summe, die die reichen Länder als Rettungspakete beschlossen haben. Zwei Drittel könnten Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) leisten, der Rest müsse aus der Entwicklungshilfe kommen.