Flugscham und Minister-Urlaube: Fürs Klima am Boden bleiben?

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Deutschland,

Wenn es um Klimaschutz geht, vermischen sich schnell Wissenschaft und Moral. In der Urlaubszeit steht das Fliegen im Fokus. Was plant die Politik - und heben die Bundesminister privat eigentlich ab?

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Noch ist «Flugscham» ein vor allem in Skandinavien verbreitetes Schlagwort. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Goethe dichtete «Sieh, das Gute liegt so nah», und viele Klimaschützer sehen das genau so.

Proppevolle Flughäfen und das fortwährende Wachstum der Luftfahrtbranche sprechen zwar eine andere Sprache, aber wenn ein Hitzerekord den nächsten jagt und junge Demonstranten von Fridays for Future den Stuttgarter Flughafen unsicher machen, reist manch einer wohl mit schlechtem Gewissen.

Und wenn es nach den regierenden Parteien geht, bald auch teurer. Ob SPD, CDU oder CSU: überall ist inzwischen zu hören, dass die Ticketpreise hoch müssen, um etwa Geld für den Schienen-Ausbau zu haben, damit die Leute öfter mal am Boden bleiben. Geht die Regierung mit gutem Beispiel voran?

Schwer zu sagen, denn in vielen Ministerien heisst es zu Fragen nach dem Sommerurlaub: Privatsache. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verbringt die freien Tage «zu Hause im Saarland», ganz im Goethe'schen Sinne. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wählte das bayerische Alpenland zum «Wandern und Entspannen», und zwar ohne Flugzeug. Dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Insel Ischia im Golf von Neapel und die Südtiroler Berge schätzt, ist bekannt.

Nur eine Pressestelle teilt auf Nachfrage offiziell mit, dass der Minister mit dem Flugzeug unterwegs war: Nämlich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der mit seiner Familie in Südfrankreich war. Offen blieb, ob er die Treibhausgas-Emissionen «ausgeglichen» hat. Dienste wie Atmosfair, bei denen man Klimaschutz-Projekte fördern kann, berichteten zuletzt von stark steigender Nachfrage.

Familienministerin Franziska Giffey (SPD) postete auf Facebook ein Bild von einem Boot und «Sommergrüsse aus Griechenland». Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) wählte den Comer See in Norditalien als Ziel. «Da ich das ganze Jahr viel unterwegs bin, freue ich mich auf entspannte Tage – ohne einen weiten Flug, ohne grossen Koffer», liess sie wissen.

In der Tat sind die Mitglieder der Bundesregierung und ihre Mitarbeiter ständig auf Achse. 300 000 Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) glich das Umweltbundesamt für das Jahr 2017 aus über sogenannte Emissionsgutschriften, die 1,7 Millionen Euro finanzierten etwa Biogasanlagen in Nepal und effiziente Öfen in Sambia. 229 116 Flüge im Inland absolvierten die Mitarbeiter der Ministerien und ihrer Behörden im vergangenen Jahr - kein Wunder, dass gerade auch wieder viele fordern, den Zweitstandort Bonn aufzugeben.

Den Startschuss für die Sommer-Debatte über höhere Ticketpreise gab Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) ab, die über ihren Urlaub schweigt, aber die Luftverkehrsabgabe erhöhen will. Ähnliche Pläne hat die CSU, wie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem Münchner «Merkur» sagte. Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) will ebenfalls höhere Abgaben des Flugverkehrs. Gut möglich, dass die im «Gesamtpaket» für mehr Klimaschutz stecken werden, das am 20. September - in nicht mal acht Wochen - beschlossen werden soll.

Fliegen oder nicht fliegen, diese Frage muss sich unabhängig vom Ticketpreis jeder selbst beantworten. Vor allem über Grünen-Politiker ergiesst sich öfter mal Häme, wenn sie an Flughäfen gesichtet werden oder Urlaubsbilder aus der Ferne posten. Wissenschaft und Moral vermischen sich schnell, wenn es ums Klima geht.

Fest steht: Mehr als zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses gehen aufs Konto der Luftfahrt, der Sektor wächst Jahr für Jahr. Weil Flugzeuge sehr hoch fliegen, wirken sich auch die Ausstösse von Wasserdampf, Stickoxiden und Russpartikeln auf den Strahlungshaushalt der Erde aus.

Ein Flug von Deutschland auf die Kanarischen Inseln und zurück verursacht laut Umweltbundesamt pro Person einen Ausstoss von ca. 1,8 Tonnen CO2. Mit einem voll besetzten Mittelklassewagen könne man dafür rund 45 000 Kilometer weit fahren - weiter als - in der Theorie - einmal den kompletten Äquator entlang.

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