Genua erinnert an «Apokalypse»
Die Bilder raubten nicht nur Genua, sondern Menschen auf der ganzen Welt den Atem. Vor einem Jahr krachte die Morandi-Brücke zusammen. Die Stadt versucht nun, langsam von der Katastrophe loszukommen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Schmerz war mit dabei: Ein Jahr nach dem verheerenden Brückeneinsturz ist am Mittwoch in Genua der Opfer gedacht worden.
Während einer emotionalen Gedenkfeier mit einem Gottesdienst erinnerte der Kardinal und Erzbischof von Genua, Angelo Bagnasco, an die «Apokalypse, die uns den Atem verschlagen hat». Die Zeremonie fand am Ort der Tragödie und des Wiederaufbaus statt: mit Blick auf den ersten Stützpfeiler der neuen Brücke.
Am 14. August 2018 war ein etwa 180 Meter langes Stück der Fahrbahn der Morandi-Brücke mehr als 40 Meter in die Tiefe gestürzt. Mit ihr zahlreiche Autos, Lastwagen und deren Insassen. 43 Menschen kamen ums Leben. Die Bilder des Einsturzes während eines starken Unwetters gingen um die Welt. Unnachgiebig suchten Rettungskräfte mit schwerem Gerät nach Verschütteten und bargen Opfer und Überlebende.
Die Tragödie sei etwas gewesen, das «grösser war als wir», sagte der Polizist Francesco Germano dem Rundfunksender Rai. Er entdeckte Überlebende in den Trümmern, «das hat uns die Kraft gegeben, weiterzusuchen». Noch immer werde in Genua jeden Tag über die Brücke gesprochen. «Die alte Brücke ist nicht mehr da», sagte Germano. Jetzt gebe es die Wiedergeburt.
Die Abrissarbeiten der gewaltigen Überreste des Polcevera-Viadukts wurden kurz vor dem Jahrestag abgeschlossen. Das komme einer «definitiven Loslösung eines Teils der Geschichte» gleich, sagte der Erzbischof. Ende Juni gingen bei einer spektakulären Sprengung die Überreste auf der Ost-Seite des Polcevera-Tals zu Boden. Vor wenigen Tagen wurden auch die Reste auf der Westseite abgetragen. Der Aufbau der neuen Brücke ist in vollem Gange. Den Bau leitet Stararchitekt Renzo Piano, der selbst aus Genua stammt. Die neue Brücke soll im April 2020 fertig sein.
In die Schweigeminute um 11.36 Uhr, dem Zeitpunkt des Unglücks, mischten sich am Mittwoch das Glockengeläut aller Kirchen, das Dröhnen der Schiffshörner im Hafen und die Tränen der Angehörigen der Opfer. Viele Gefühle waren im Spiel - auch die Wut: Nach einem Protest der Angehörigen verliess die Delegation des Konzerns Atlantia von der Familie Benetton die Gedenkfeier.
Atlantia kontrolliert den Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia. Gegen ihn und mehr als 70 Personen wird wegen des Brückeneinsturzes ermittelt. Noch immer ist unklar, wie es zu der Tragödie kommen konnte.
Der Autobahnbetreiber schaltete am Mittwoch um 11.36 Uhr auf den elektronischen Anzeigetafeln der Autobahnen eine Botschaft der Erinnerung an die Opfer. Ihr Schicksal verglich die Präsidentin des Komitees der Angehörigen, Egle Possetti, mit einer «Todesstrafe ohne Möglichkeit auf Berufung». Man sehne sich danach, wieder in die Normalität zurückzukehren.
Neben den Toten und ihren Angehörigen müsse man sich auch an diejenigen erinnern, die wegen der Katastrophe ihr Zuhause oder ihren Job verloren hätten, sagte Genuas Bürgermeister Marco Bucci, der auch der Sonderverwalter des Wiederaufbaus ist. Die neue Brücke werde in der Lage sein, die Wunde zu vernähen, «indem sie eine entzwei gebrochene Stadt (...) wieder verbindet», schrieb Staatspräsident Sergio Mattarella in der Lokalzeitung «Il Secolo XIX».
Neben Mattarella waren auch Regierungsvertreter wie Ministerpräsident Giuseppe Conte und die beiden Vizepremierminister Matteo Salvini und Luigi Di Maio nach Genua gekommen. Es war ein ungewöhnliches Bild, die Minister der rechten Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung in diesen Tagen zusammen zu sehen. Die Regierung steckt in einer tiefen Krise.