Vor allem Familien macht es zu schaffen, wenn Arzneimittel wie Fiebersäfte derzeit in der Apotheke nicht zu haben sind. Die Regierung will die Knappheiten mit finanziellen Anreizen bekämpfen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei einem Pressetermin in Berlin.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei einem Pressetermin in Berlin. - Bernd von Jutrczenka/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Hausärzte und Apotheken rechnen trotz der angekündigten Gegenmassnahmen mit einem anhaltenden Medikamentenmangel in den kommenden Monaten.«Die jetzt diskutierten Massnahmen werden in der hausärztlichen Versorgung kurzfristig nur bedingt helfen», sagte Nicola Buhlinger-Göpfarth, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, der «Rheinischen Post».
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«Die Lieferengpässe sind in den Hausarztpraxen sehr deutlich zu spüren. Die Hausärztinnen und Hausärzte müssen inzwischen sehr viel Zeit investieren, um, sofern dies überhaupt möglich ist, Medikationen umzustellen.»

Auch der Apothekerverband Nordrhein erwartet lang anhaltende Lieferprobleme bei Medikamenten. «Es wird viele Monate dauern, bis die Versorgungssituation besser wird. Wir gehen davon aus, dass die Lieferprobleme auch 2023 anhalten und noch weitere Arzneimittel betroffen sein werden», sagte Verbandschef Thomas Preis der Zeitung. «Täglich werden neue Medikamente knapp: Aktuell fehlen Mittel zur Desensibilisierung von Allergikern, die sollen erst im Mai kommen – wenn die Pollensaison schon begonnen hat – dann kann man aber nicht mehr desensibilisieren.» Die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seien nur «ein Tropfen auf den heissen Stein».

Krankenkassen: «Weihnachtsgeschenk» für Pharmahersteller

Der Minister will das Angebot wichtiger Arzneimittel besonders für Kinder besser gegen Lieferengpässe absichern. Eckpunkte für ein Gesetz sehen unter anderem neue Preisregeln vor. Das soll Lieferungen für Anbieter wirtschaftlich attraktiver machen. Europäische Produzenten sollen generell stärker zum Zug kommen. «Wir haben es mit der Ökonomisierung auch in der Versorgung mit patentfreien Medikamenten übertrieben», sagte der SPD-Politiker. Die gesetzlichen Krankenkassen sprachen von einem «Weihnachtsgeschenk» für die Pharmahersteller; die wiederum begrüssten die Pläne.

Lauterbach erläuterte: «Dass man in Deutschland nur schwer einen Fiebersaft für sein Kind bekommt, der im Ausland noch erhältlich ist, ist inakzeptabel.» Daher solle die Preisgestaltung bei Kinderarzneien radikal geändert werden. «Wenn zum Beispiel die jungen Patientinnen und Patienten auf teurere Medikamente ausweichen müssen, sollen die Krankenkassen künftig deutlich mehr Kosten als heute übernehmen. Das wird kurzfristig für mehr Angebot bei Kinderarzneimitteln sorgen.» Engpässe gab es zuletzt auch bei Präparaten für Erwachsene, etwa bei Antibiotika und Krebsmedikamenten.

Ein Überblick über die geplanten Preishebel

Kindermedikamente: Für bestimmte Arzneimittel soll künftig das bis zu 1,5-Fache des «Festbetrags» von den gesetzlichen Kassen übernommen werden – also des maximalen Betrags, den sie bisher für ein Präparat an den Hersteller zahlen. Lauterbach sagte in der ARD, die Kassen würden unmittelbar angewiesen, diese 50 Prozent mehr zu zahlen. Nach Eckpunkten des Ministeriums sollen Experten beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Liste mit Präparaten erstellen, die für die Kinderversorgung erforderlich sind. Um Kostendruck zu senken, soll es für sie auch keine Rabattverträge mehr geben dürfen.

Lieferketten: Die Versorgung soll generell besser abgesichert werden, auch gegen Probleme bei Lieferungen aus Asien und Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern. Den Kassen soll zunächst für Krebsmedikamente und Antibiotika eine «Standortberücksichtigung» bei Ausschreibungen vorgegeben werden. In einem zusätzlichen Teil ergänzend zur Vergabe nach dem Preis sollen sie einen Zuschlag nach dem Kriterium «Anteil der Wirkstoffproduktion in der EU» erteilen. Das solle dafür sorgen, dass zuverlässigere europäische Hersteller bevorzugt werden, erläuterte Lauterbach. Für bestimmte Mittel soll auch vorgesehen werden, dass sie über mehrere Monate auf Lager zu halten sind.

Apotheken: Im Blick stehen auch Apotheken, die sich bei gerade nicht lieferbaren Mitteln um Alternativen für die Kundinnen und Kunden kümmern. «Ist ein Medikament nicht vorrätig, dürfen sie künftig ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben oder aus Pillen Säfte machen», erläuterte Lauterbach. «Müssen sie dafür mit dem Arzt Rücksprache halten, wird das zusätzlich honoriert.» Laut den Eckpunkten ist eine Pauschale von 50 Cent vorgesehen. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände nannte den Betrag «eine Frechheit». Damit werde teils stundenlanger Arbeitsaufwand nicht ansatzweise bezuschusst.

Beobachtung: Um früher zu erkennen, bei welchen Mitteln sich Engpässe abzeichnen, soll die Versorgungslage genauer überwacht werden. Das zuständige Bundesinstitut soll dafür zusätzliche Informationen von Herstellern und dem Pharma-Grosshandel bekommen – etwa zu aktuellen Produktionsmengen nach Fertigungsstandort und zur Lagerhaltung von Wirkstoffen, Zwischenprodukten und Fertigarzneimitteln. Aktuell gibt es laut Bundesinstitut gut 330 Meldungen zu Lieferengpässen. Das Ministerium weist darauf hin, dass nicht in jedem dieser Fälle auch ein Versorgungsengpass besteht. Es wären also Alternativen da.

Lauterbach: «Discounter-Politik»

Umgesetzt werden sollen die Gesetzespläne im neuen Jahr. Lauterbach sagte, eine «Discounter-Politik» habe die Versorgung kontinuierlich über Jahrzehnte verschlechtert. «Das zurückzudrehen, geht nicht über Nacht.» Zwar seien patentgeschützte Medikamente in Deutschland eher teuer – für Mittel ohne Patentschutz sei es bisher aber kein attraktiver Markt. Das führe dazu, dass gefragte Produkte eher in andere Staaten wie in die Niederlanden gingen, erläuterte er in der ARD. Über die Finanzierung sei in der Regierung zu sprechen. «Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder hier einsieht, dass wir handeln müssen.» Er ziehe da mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) an einem Strang.

Von den gesetzlichen Kassen kam Kritik. Spitzenverbands-Chefin Doris Pfeiffer sprach von einem «beeindruckenden Weihnachtsgeschenk für die Pharmaunternehmen». Ob Medikamente deshalb verlässlicher gen Europa geliefert oder mehr hier produziert würden, stehe in den Sternen. Aus Sicht der Pharmabranche hingegen hat das Ministerium endlich erkannt, dass das «Hauptsache-Billig-Prinzip» die Versorgung destabilisiere. Das gehe an die Wurzel des Problems, erklärte der Verband Pro Generika. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erwartet keine kurzfristigen Wunder von den Plänen. «Sparwut der Kassen» habe Pflegebedürftige und Schwerkranke längst erreicht, sagte Vorstand Eugen Brysch. Es fehlten Antibiotika und radioaktive Arzneimittel. «Das muss ein Ende haben.»

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