Heute Panzer, morgen Kampfjets? Waffen-Debatte ohne Ende

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Ukraine,

Nach quälenden Wochen hat sich Kanzler Scholz zur Lieferung von Leopard-2-Panzern durchgerungen. Doch schon erhebt die Ukraine neue Forderungen. Warum nur steht ausgerechnet Deutschland immer als Getriebener da?

Ein Panzer Leopard 2A6 während einer Übung im niedersächsischen Bergen.
Ein Panzer Leopard 2A6 während einer Übung im niedersächsischen Bergen. - picture alliance / dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Lieferung von 14 Leopard-2-Panzern war noch nicht offiziell bestätigt, da meldete sich der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zu Wort.

Mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein erklärte der jetzige Vize-Aussenminister am Mittwoch im ntv-Interview, dies könne nur «der erste Schritt» sein. «Man sollte eigentlich darüber sich Gedanken machen wie im Zweiten Weltkrieg. Damals haben die Amerikaner der Sowjetunion über 8000 Panzer geschickt und 14.000 Kampfjets, damit die Entente den Krieg gegen Nazi-Deutschland gewinnen konnte.»

Die Ukraine benötige jetzt gleichfalls eine Verstärkung ihrer Luftwaffe, sie benötige moderne Kampfjets, Tornados. «Wir bräuchten Kriegsschiffe, damit die Küste geschützt werden kann. Wir bräuchten auch U-Boote.» Und das alles müsse viel schneller und zügiger gehen als bisher. Mit seinen Aussagen schien Melnyk die schlimmsten Befürchtungen aller Waffen-Skeptiker zu bestätigten: Egal wie viel Deutschland auch liefert, die Ukraine wird immer noch mehr wollen.

Die rote Linie verläuft nun bei Kampfflugzeugen

Nach der Waffenlieferung ist vor der Waffenlieferung. Seit Beginn des Krieges vor elf Monaten diskutiert Deutschland nunmehr nahezu in Dauerschleife darüber, wie stark es die Ukraine unterstützen will und wo die Grenze sein soll. Wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag ausführte, verläuft die rote Linie nun bei Kampfflugzeugen. Aber wenn man bedenkt, wie sich die Dinge seit den berühmten Ankündigung von Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), 5000 Helme zu liefern, entwickelt haben, ist da vielleicht noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Auffällig ist, dass es eine so intensive Waffen-Debatte wie in Deutschland in anderen Ländern nicht gibt. Nicht in Frankreich, nicht in Grossbritannien, nicht in Polen, nicht in den Niederlanden. Warum ist das so? Die deutsche Geschichte! Die Bundesrepublik war im Kalten Krieg «Frontstaat», das heisst: Wenn es zu einem heissen Krieg gekommen wäre, hätte dieser als erstes Deutschland getroffen. Die Angst davor war im Alltag präsent. Wenn zum Beispiel von Ferne irgendein ungewohntes Grollen zu hören war, dann konnte es sein, dass irgendein Spassvogel ausrief: «Die Russen kommen!» In der DDR lagen die Dinge wieder anders: Dort war Russland der grosse Bruder, den man fürchtete, aber auch respektierte. Die Angst davor, den «russischen Bären» zu stark zu reizen, sitzt in Deutschland deshalb tiefer als in anderen Ländern.

Dazu kommt die Last des Zweiten Weltkriegs. «Unternehmen Barbarossa» – Hitlers unvorstellbar grausamer Angriffskrieg gegen die Sowjetunion. Geschätzte Opferzahlen: zehn Millionen Soldaten der Roten Armee, 14 Millionen sowjetische Zivilisten. Und jetzt, nachdem deutsche Politiker jahrzehntelang Kränze in Moskau niedergelegt haben, sollen wieder deutsche Panzer gen Osten rollen?

Dieses Argument lässt sich allerdings auch umdrehen: «Die Lektion aus der Geschichte ist nicht die, dass deutsche Panzer, ganz egal was der Kreml auch tut, niemals gegen Russland eingesetzt werden sollten, sondern dass sie genutzt werden sollten, um die Ukrainer zu schützen, die mit am meisten unter Hitler und Stalin gelitten haben», meint der britische Historiker und Karlspreisträger Timothy Garton Ash. So ähnlich fallen inzwischen praktisch alle Meinungsbekundungen westlicher Kommentatoren aus. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari («Eine kurze Geschichte der Menschheit») versicherte dem «Spiegel»: «Ich kann das den Deutschen als Jude und Israeli und als Enkel von Holocaust-Überlebenden sagen: Wir wissen, dass ihr keine Nazis seid. Ihr braucht das nicht mehr zu beweisen. Deutschland muss jetzt aufstehen und führen, denn Deutschland ist der Anführer Europas in dieser Lage.»

«Nie wieder Krieg» als BRD-Gründungsideal

Doch eine Führungsrolle fällt Deutschland auf militärischem Gebiet weiter schwer. Die Bundesrepublik hat das einfach nicht in den Genen. «Nie wieder Krieg» war eines ihrer Gründungsideale. Daneben habe es aber immer auch noch einen anderen Referenzpunkt gegeben, erläutert der Militärhistoriker Sönke Neitzel der Deutschen Presse-Agentur: «Nie mehr allein.» Alleingänge und Sonderwege sind der Bundesrepublik möglicherweise ein noch grösserer Graus als militärische Abenteuer. Das gilt gerade auch für Olaf Scholz, der seit Beginn des Krieges immer wieder betont hat, dass Deutschland nur zusammen mit seinen Verbündeten handeln werde.

Die Beteiligung eines ganz bestimmten Verbündeten war jetzt bei der Panzer-Entscheidung von äusserster Wichtigkeit: Erst als die USA ebenfalls die Lieferung von Kampfpanzern zugesagt hatten und Scholz somit sicher sein konnte, dass sich Deutschland nicht allein exponieren würde, sprang der erklärtermassen vorsichtige Politiker über seinen Schatten. Neitzel vermutet dahinter «die alte deutsche Urangst, dass die Amerikaner die Europäer allein lassen könnten». Schon Bundeskanzler Helmut Schmidt habe im Kalten Krieg im vertraulichen Kreis gesagt, im Falle eines russischen Angriffs werde man kapitulieren müssen, denn die USA würden für Europa nicht das Verglühen ihrer eigenen Städte im Atomkrieg riskieren.

Experte: Eigene Kriegsziele nicht ausreichend klar definiert

Wie geht es nun weiter? Die entschlossensten Befürworter von Waffenlieferungen plädieren dafür, dass Deutschland der Ukraine einfach alles geben soll, was sie haben will. Der Verteidigungsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält diese Haltung für zu schlicht. «Mit dieser Begründung könnte man gleich auch – ich überspitze jetzt bewusst – Atomwaffen liefern», sagt er. «Die Ehrlichkeit gebietet es zu sagen, dass deutsche und ukrainische Interessen nicht immer deckungsgleich sind. Es mag im Interesse der Ukraine sein, auch noch die Krim zu befreien – aber vielleicht nicht im deutschen, weil wir auch in Zukunft noch mit Russland zusammenleben müssen.»

Der Kern des Problems liegt für Kaim darin, dass Deutschland seine eigenen Kriegsziele bisher nicht ausreichend klar definiert habe. Die Linie der Bundesregierung ist, dass sie die Ukraine nach Kräften unterstützt und die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj völlig unabhängig entscheidet, bis zu welchem Punkt sie gegen Russland weiterkämpfen will. Nach Meinung von Kaim müsste die Bundesregierung aber auch für sich selbst bestimmen, wie weit sie in dem Konflikt gehen will: «Wollen wir lediglich verhindern, dass die russischen Streitkräfte noch weiter vorrücken? Oder wollen wir erreichen, dass die ukrainische Armee die von Russland besetzten Gebiete in der Ostukraine zurückerobert – und vielleicht auch noch die Krim? Dann müssten wir natürlich noch viel, viel mehr Waffen liefern. Solange das nicht geklärt ist, wirkt der Bundeskanzler zwangsläufig wie ein Getriebener.»

Die entscheidenden Fragen sind nicht beantwortet

Man könnte dem entgegenhalten, dass in diesem Krieg mit seinen überraschenden Wendungen gar keine langfristigen Planungen möglich sind. Niemand weiss, was in Wladimir Putins Kopf vor sich geht, aber auch was zum Beispiel die Höhe der ukrainischen Verluste betrifft, tappen Experten weitgehend im Dunkeln. Militärhistoriker Neitzel glaubt, dass die Stärke der Ukraine überschätzt wird. «Die Vorstellung, dass die Ukraine jetzt mit 40, 50 Kampfpanzern eine Grossoffensive startet und alle verlorenen Territorien zurückerobert, ist Unsinn», glaubt er. «Durch die russische Mobilmachung haben sich die Kräfteverhältnisse erheblich verändert.»

Die reale Gefahr ist in seinen Augen denn auch nicht der Ausbruch des Dritten Weltkriegs, sondern eine Niederlage der Ukraine. «Keiner von uns weiss, wie der Krieg in den nächsten Monaten weitergeht, aber es ist gut möglich, dass wir im Rückblick feststellen werden: Too little, too late.»

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